Freitag, 30. März 2012

Mailwechsel Goethe-Institut Ramallah 29.3.2012

Sehr geehrter Dr. Jörg Schumacher,

ich betreue derzeit den blog 71gedichte.blogspot.com zur Ausstellung 71gedichte.boazkaizman.de des in Köln lebenden israelischen Künstlers Boaz Kaizman. Von Teilnehmern des blogs bin ich auf die von Ihnen unterstützte Aktion des "Key of return" hingewiesen worden, die Teil des Berlin Biennale Programms 2012 ist. Abgesehen von der generellen Berechtigung einer Forderung nach Rückkehr für alle wirklichen Flüchtlinge in dieser Welt bleibt bei dieser Aktion ein merkwürdiger Beigeschmack. Die Installation des Schlüssels oberhalb des Tors des Flüchtlingslagers Aida spielt mit Parallelen, die man durchaus geschmacklos finden kann. Es fragt sich auch, warum der Schlüssel nicht nach Israel, sondern nach Deutschland überführt werden muss. Die Antwort liegt im Konzept der Biennale begründet. Die kokettiert in großem Stil mit der Rückgängigmachung der zionistischen Bewegung, beispielsweise in der von Yael Bartana initiierten Bewegung zur "Wiederansiedlung von Juden in Polen". Diese Koketterie geht in Richtung einer Konfrontation um jeden Preis. In welche revanchistische Richtung die künstlerischen Beiträge gehen können, hat der Kurator Artur Zmijewski selbst mehrfach unter Beweis gestellt: In seinem Film 80064, in dem er einen Auschwitz-Überlebenden bedrängt, seine KZ-Nummerntätowierung aufzufrischen http://www.justin.tv/korendian199/b/282107151, oder in dem Video "Fangen", das Menschen beim Fangenspielen in den Gaskammern zeigt. Zmijewski hält beide Aktionen für Wiederholungen von Geschichte, die eine produktive Konfrontation ermöglichen. Die makabre Art der Wiederholung gibt jedoch insbesondere die Opfer des Holocaust der Lächerlichkeit preis und reiht sich in eine Tendenz ein, die in Osteuropa derzeit vielfältig zu beobachten ist und die darauf abzielt, die durch die Wende möglich gewordene Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus ein weiteres Mal auf Kosten der Opfer zu verschieben.  

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Blogbetreuer möchte ich Sie nun fragen, ob Ihnen der oben skizzierte Zusammenhang der "Key of return"-Aktion bewusst ist und wie Sie sich als Vertreter deutscher Kultur im Ausland dazu stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Marcus Seibert



Sehr geehrter Herr Seibert,

vielen Dank für Ihre Mail. Anbei sende ich Ihnen ausführlichere Informationen zu unserer Beteiligung am Projekt der 7. Berlin Biennale und der Kunstakademie in Ramallah.

Die Beteiligung des Goethe-Instituts an der 7. Berlin Biennale

Das Goethe-Institut unterstützt die 7. Berlin Biennale und ihre Zusammenarbeit mit der Internationalen Kunstakademie in Ramallah mit einer Projektbeteiligung in Höhe von 5.000 EUR. Die Unterstützung umfasst im Einzelnen: einen Workshop in den palästinensischen Gebieten mit der Kunstakademie in Ramallah zum Thema „Kunst und Politik im Öffentlichen Raum“ und einen Workshop in Berlin in Zusammenarbeit mit dem internationalen JugendKunst- und Kulturhaus „Schlesische27“. Darüber hinaus fördert das Goethe-Institut bereits zum vierten Mal die Ausrichtung eines Jungkuratorenworkshops. Weiterhin ermöglicht das Goethe-Institut die Teilnahme von palästinensischen Kulturschaffenden an der 7. Berlin Biennale, indem es Reisekosten übernimmt. Das Projekt „Key of Return“ ist Teil der Kooperation der 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst mit der Internationalen Kunstakademie in Ramallah: Bereits 2011 hatte die Akademie mit dem Projekt „Picasso in Palestine“ politische Spannungsverhältnisse durch künstlerische Auseinandersetzung reflektiert, als sie im Juni 2011 Picassos Gemälde „Buste de Femme“ in ihren Räumen ausgestellt und den Weg des Bildes von Europa in den Nahen Osten diskursiv begleitet und dokumentiert hat.

Die 7. Berlin Biennale setzt sich in unterschiedlichen Bereichen mit dem komplexen Verhältnis von Kunst und Politik auseinander und blickt von dort aus auf gegenwärtige gesellschaftliche und politische Realitäten. Der „Key of Return“ steht symbolisch für zahlreiche Flüchtlings- und Migrationsbewegungen im 20. und 21. Jahrhundert. Die Workshops, die das Goethe-Institut in diesem Zusammenhang fördert, zielen darauf ab, diese Prozesse zu reflektieren und das Projekt in den genannten größeren Kontext von Kunst und Politik zu stellen. Sie berühren Kernthemen des Goethe-Instituts, das sich seit langem mit Erinnerungskultur, Vorstellungen von Heimat und Identitätskonstruktionen sowie der Rolle beschäftigt, die Kultur bei der Bewältigung von Konflikten einzunehmen vermag. Eine künstlerische Auseinandersetzung kann Impulse geben, Neues zu denken und auszusprechen. Der Diskurs über künstlerische Ausdrucksformen kann Vorstellungen von Vergangenheit und Gegenwart hinterfragen. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist grundlegend für die Gestaltung einer konstruktiven gesellschaftlichen Entwicklung. Dazu versuchen die Workshops, die das Goethe-Institut fördert, einen Beitrag zu leisten.

In den genannten Workshops, die von der 7. Berlin Biennale in Zusammenarbeit mit „Schlesische27“ und der Kunstakademie in Ramallah organisiert werden und in Berlin und den palästinensischen Gebieten stattfinden, wird ein kleines Team von jungen Erwachsenen in Deutschland lebende palästinensische Jugendliche interviewen und ihre Werte, Wünsche, Ziele und Hoffnungen erfragen. Die Gespräche sollen die Jugendlichen dazu motivieren, eigene Stärken anzuerkennen und die Selbstwahrnehmung als Opfer kritisch zu hinterfragen. Die daraus entstehende kleine Bild-/Text- und Objektsammlung wird anschließend in die palästinensischen Gebiete geschickt und dort dem zweiten Workshop als Grundlage dienen. Im vergangenen Jahr hat das Goethe-Institut unter dem Titel „Confessions“ bereits mit „Schlesische27“ ein von der EU gefördertes Projekt mit jungen Libanesen, Palästinensern, Engländern und Deutschen zum Thema Sexualität durchgeführt.

Der diesjährige Jungkuratorenworkshop thematisiert insbesondere heutige Transformationsprozesse in den arabischen Gesellschaften. Referenten beim Jungkuratorenworkshop werden unter anderem die jordanische Kuratorin Touleen Touq (Makan Art Space), Khaled Hourani, Direktor der Internationalen Kunstakademie in Ramallah, sowie Joshua Simon, Chief Curator des Bat Yam Museums in Israel, sein.

Wenn Sie weitere Informationen wünschen, sagen Sie bitte einfach Bescheid. Für Fragen zum Gesamtkonzept der 7. Berlin Biennale stehen Ihnen Gabriele Horn und Denhart von Harling zur Verfügung.

Freundliche Grüße aus Ramallah

Joerg Schumacher

Donnerstag, 22. März 2012

Efraim Zuroff: Der Rückfall


Unter diesem Titel schreibt Efraim Zuroff, der Leiter des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, anlässlich der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten in der taz (17./18. März, S.3, Übersetzung Enrico Ippolito und Frauke Böger). Zuroff untersucht, was es bedeutet, dass Gauck zu den Unterzeichnern der so genannten Prager Erklärung vom 3. Juni 2008 gehört.

"Vordergründig scheint die Erklärung daran zu appellieren, die Verbrechen der Nationalsozialisten und die der Kommunisten als gleich schlimm anzuerkennen und die Opfer beider totalitärer Regime gleichzubehandeln. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die wahren Ziele dieser Kampagne weitas revolutionärer, heimtückischer und gefährlicher sind.
Denn dieser Vergleich ignoriert absichtlich die entscheidenden Unterschiede zwischen der Naziideologie, die darauf abzielte, bestimmte Menschen nur ihrer Herkunft wegen zu vernichten, und ihrem kommunistischen Gegenstück, dessen Opfer primär auf Grundlage ökonomischer und politischer Faktoren identifiziert wurden. Die behauptete Austauschbarkeit beider Phänomene übersieht den präzedenzlosen Charakter des Holocaust und erhöht die kommunistischen Verbrechen in ihrer tatsächlichen historischen Bedeutung (...)
Mit der Erhöhung kommunistischer Verbrechen zum Genozid – worauf die mehrfach verwendete Formulierung "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" abzielt – erhoffen sich die Unterzeichner der Prager Erklärung, den Blick vom Massenmord an den Juden auf das Leid der Osteuropäer während des Jochs des Kommunismus zu lenken, und wandeln dabei Täternationen zu Opfervölker um."


Kirche und Israel

"Für die Christen im Besonderen gilt es, immer wieder neu, auch gegenüber Eindrücken, die vielleicht da und dort negativ sind, ein rechtes Bild von der Judenschaft zu erhalten und auch für dessen Verbreitung zu sorgen. Sie wird vor allem die Besonderheit der Juden anerkennen als etwas für die Judenschaft Notwendiges, bis hin zu den rituellen Gebotserfüllungen. Sie wird es verstehen und für Verständnis dafür sorgen, daß die Judenschaft auf dem von ihr nun einmal beschrittenen Wege bleiben und darin selbst sich festigen und stärken, auch in neuen Erkenntnissen üben muß, selbst wenn dies der Umwelt befremdlich ist. Gerade vor dies befremdliche Wesen hat sich die Christenheit schützend zu stellen. Sie hat selbst sich zu bemühen um Verständnis für Weg und Geschichte der Judenschaft bis in die Gegenwart, so wahr das Gegenüber von heute dem Gegenüber von einst immer noch entspricht und die Zwischenzeit der verschiedenen Wege durchaus nicht eine Zeit der getrennten, sondern ebenso oft auch sich schneidenden, kreuzenden, miteinander verlaufenden Wege ist. Zu jener Solidarität und den Folgen daraus gehört in unseren Tagen eine echte Verbundenheit mit der neuesten Form der volkhaften Existenz der Juden. Weder wird die Christenheit schwärmerisch den Judenstaat mit irgendeiner Form von Verwirklichung des Reiches Gottes oder eines friedlichen und herrlichen Endzustandes der Judenschaft verwechseln, noch wird sie auf der anderen Seite in diesem Staat eine rein profane Angelegenheit sehen, ein Volk wie andere, ein Staat wie andere. Immerhin ist er ein Staat von Juden, ist er ein Stück der Judenschaft, gehört zu ihrem Leben und ist eine ihrer Lebensformen."
Günther Harder: Die Bedeutung der Auserwähltheit Israels für die Christen, in: Kirche und Israel, Berlin 1986, S.153, Erstveröffentlichung in Molinski (Hg.): Unwiderrufliche Verheißung, Recklinghausen 1968

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Was mein Großvater da kurz nach meiner Geburt formulierte, klingt für mich heute aus verschiedenen Gründen fremd. Ich bin der Kirche schon vor langer Zeit abhanden gekommen, unerreichbar für theologische Argumentationen auch aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche. Begriffspaare wie Christenheit versus Judenschaft klingen für mich wie aus einer vergangenen Zeit geliehen. Und sie klingen nicht schön: Judenschaft würde man heute wohl nicht mehr sagen, weil die letzte Silbe in einigen ihrer militärischen Verwendungen in Verruf gekommen ist. Auch der moralische Imperativ, der den Text antreibt, appelliert an einen nur noch in Erinnerungen vorhandenen Teil von mir, obwohl er einen gegenwärtigen treffen könnte. Was ist mit denen, die sich keinem Christentum mehr verpflichtet fühlen, sondern jenem unscharf als Humanismus bezeichneten Konglomerat, das mit diesem Begriff von allen religiösen Überzeugungen abgegrenzt wird? Sind sie aus dem moralischen Imperativ entlassen? Betrifft die Verpflichtung zur Anerkennung nur die Christenheit? Gerade in der Geschichte dieses Humanismus spielt die Verschmelzung von im Sinne einer nichtreligiösen Weltsicht "aufgehobenen" christlichen und jüdischen Gedanken eine entscheidende Rolle. Die darin verwirklichte friedliche Koexistenz ehemals theologischer Denkformen durchzieht die Geschichte der Philosophie und der Literatur der letzten zwei Jahrhunderte. Sie hat sogar die Brutalitäten der Nazizeit überlebt, vorwiegend allerdings nicht in Deutschland.

In einer Situation, in der das Christentum auf den absteigenden Ast geraten ist und Appelle wie der obige niemanden mehr zu erreichen drohen, fragt es sich, wie die Forderung des Tages denn heute sein müsste. Die "sich schneidenden, kreuzenden, miteinander verlaufenden Wege" gilt es, im beiderseitigen Interesse weiter zu verfolgen. Denn alle Versuche, mit Begriffsoppositionen in diesem schwierigen Feld Gegensätze zu behaupten beweisen nur, dass hier mit viel argumentativem Aufwand und geschichtlich oft genug mit extremer Grausamkeit etwas getrennt werden soll, was immer schon zusammen gehört hat.

Marcus Seibert, 22.3.2012

Freitag, 16. März 2012

Werner Fleischer: 'Bewegungskunst' und ihre 'Lösungen' - Anmerkungen zur Berlin Biennale 2012


„Sind die metaphorischen Rätsel, die Wagners Phantasie aufgibt, nicht die politische Strategie? Gehört nicht die Verunsicherung essentiell zum Antisemitismus – Verunsicherung darüber, wer ein Jude sei, was ihn zum Juden mache und was infolgedessen mit ihm zu geschehen habe?“ Gerhard Scheit1

Berufungen werden meist zur Kenntnis genommen und so gab es kaum öffentliche Nachfrage nach den Gründen der Gremien der Bundeskulturstiftung, der Berliner Kunstwerke und sonstiger Persönlichkeiten des Institutionengefüges Bildender Kunst, die dazu führten, sich bei der Entscheidung für die Position des Kurators der Berlin Biennale 2012 für einen Aktivisten der Marke ‚All-in-One’ zu entscheiden oder diesen zu unterstützen, den polnischen Künstler Artur Zmijewski. Für „das wichtigste Schaufenster für zeitgenössische Kunst in Deutschland gehen alle zwei Jahre namhafte Kuratoren an der Start“, schreibt die Kulturstiftung des Bundes, die der Veranstaltung 2,5 Millionen Euro zur Verfügung stellt, auf ihrer Website. Zmijewski sei „ein international viel beachteter Künstler“, der „vor allem soziale und politische Themen bearbeitet.“ Er habe „eine deutliche Haltung zum sozialen Aktivismus entwickelt“, heißt es in einem Werbefaltblatt, das von den Berliner Kunstwerken KW Institute for Contemporary Art, die die Biennale organisiert, verbreitet wird. „Lasst die Kunst Lösungen für den sozialen und politischen Bereich anbieten! Statt Fragen zu stellen, möchte ich, dass die nächste Biennale Antworten liefert, dass sie künstlerische Sprachen und Strategien benutzt, um für gemeinsame Ziele zu kämpfen“, wird Zmijewski in dem Faltblatt zitiert. Das lässt ein Motiv sichtbar werden, dass als Grund der Berufung von Zmijewski die in Deutschland tradierte Sehnsucht nach Aufhebung jeglicher Vermittlung und der damit verbundene chronische Verdacht gegen Abstraktionen (des Westens und seiner Kunst) eine Rolle gespielt haben mag, da hier einer als Protagonist gefunden wurde, der ‚Lösungen anbieten, Antworten liefern’ will.
„Die deutsche Hauptstadt gilt als ideale Bühne“, schreibt die Bundeskulturstiftung über Berlin, die sich bald täglich als Welthauptstadt der Kunst imaginiert und ob der großen Anzahl verarmter Stellenloser und Niedriglöhner, die sich als Kunstschaffende behaupten, bewiesen haben will, man sei im Konkurrenzkampf der Standorte an New York, London und Paris allemal vorbeigezogen. Erst jüngst wurde Berlin wieder als Opfer ermittelt. Der Sammler Berggruen habe vor allem aus hinterlistigem Händlerkalkül seine Sammlung der Stadt verkauft, zu einem ‚falschen’ Preis. Es sei ihm nicht um eine Stiftung, ein Geschenk gegangen, sondern um den Zugewinn, den ihm der Berliner Auftritt als Kunsthändler verschafft habe, behauptete sinngemäß Stephan Speicher in der SZ2. Man erinnert sich auch an die Berliner Kunstszene, die mal das im Nationalsozialismus verfolgten Juden geraubte Gemälde ‚Berliner Straßenszene’ von Ernst Ludwig Kirchner gegen die Restitution und gegen Anwälte der Rechtsnachfolger dieser Juden für Deutschland retten wollte, mal den Nazi-Erben Flick hofierte, dessen Sammlung Salomon Korn als ein mit dem „Blutgeld“ von Opfern des NS aufgebaute Kunstsammlung kritisierte.3 (Die Biennale selbst betrieb das ‚Occupy’, als sie 2006 die ehemalige Jüdische Mädchenschule in der Auguststraße als kulturelles Spielbein entdeckte und dort Kunstwerke zeigte.) Die ‚Topographien des Terrors’, wie es euphemistisch heißt, sind Aktivposten des Stadt-Marketings, die, nicht immer freiwillig, vom Libeskind-Bau über die Kollwitz-Krypta bis zum ‚Untergang’ von Eichinger, sakral wirkend den gerade in seiner Negativität wie geweiht gefassten Ort ausbilden, in dem so etwas wie Scham zum – dem Begriff nach nicht möglichen – Allgemeinplatz wird, und Fragen zu Schuld und Verantwortung als Andacht gegeben werden. Das Andächtige jedoch bedarf, so scheint es und hat etwas Zynisches, gerade wegen des ihm eigenen Dezenten und Vermittelten, der fortlaufenden ‚Modernisierung’. „Die öffentliche Erinnerungspolitik hat sich inzwischen darauf geeinigt, dass die weltpolitischen Ambitionen Deutschlands es erfordern, das „Holocaust-Problem“ offensiv anzugehen,“ stellt Günther Jacob fest.4 Wobei beim „Aufarbeitungs- und Gedenkweltmeister“5 Deutschland, der sich einbildet, dass ihn dafür „in anderen Ländern manche beneiden“ (Eberhard Jäckel)6, „Erinnerung und Spurenauslöschung immer wieder Hand in Hand gehen.7 Dabei besteht Konsens darüber, dass Kunst als Mittel der Ästhetisierung des Politischen zu einer Politik des Gedenkens Deutschlands an sich selbst beitragen soll, diesem „Unstaat“ (Franz Neumann) der Volksgemeinschaft, dessen Hauptanliegen die Vernichtung der Juden war. Das schafft mitunter Probleme, Legitimationsbedarf, und braucht ein bestimmtes Kunstverständnis. Da wirkt es nur folgerichtig im Nachhinein, wenn der Künstlerkurator Zmijewski sich auch als Autor beweisen konnte, und 2007 ein ‚Manifest für Angewandte Gesellschaftskunst’ veröffentlichte. Darin heißt es laut Goethe-Institut, „die Kunst habe ihren Einfluss auf die Wirklichkeit verloren,“ und das Manifest fordert, „sie müsse wieder als ein Instrument der Wissenschaft, Bildung und Politik gebraucht und jenen gegenüber geöffnet werden, die nicht vor ihr auf die Knie fallen, sondern in einen wirklichen Dialog mit ihr eintreten können.“8 „Unter der Überschrift ‚Angewandte Gesellschaftskunst’ bescheinigt Zmijewski dem heutigen Schaffen dramatische Wirkungslosigkeit. Die Autonomie der Kunst bedeute auch ein Fehlen von verbindlichen Maßstäben und Einfluss, meint er. Deshalb ruft er dazu auf, Kunst ‚wieder als ein Instrument der Wissenschaft, Bildung und Politik’ zu gebrauchen, fordert er mehr Engagement und Haltung sowie mehr Zusammenarbeit mit Menschen, die Kunst fernstehen,“ berichtet der Tagesspiegel über Zmijewski, und: „es gibt keine Trennung zwischen Kunst und Leben“, laute der Leitsatz der Berlin-Biennale.9
Befand man für Gebrauchsgegenstände des Alltags wie des Kultes, die auch als Beutesymbole der ursprünglichen Akkumulation wie als Beweis der vermeintlichen Primitivität anderer Gesellschaften dienen konnten, sogenannte Völkerkundemuseen (heute Museen der Kulturen der Welt) für angemessen, wurden im Zuge der Entwicklung der bürgerlichen Herrschaft des Kapitals Museen für Angewandte Kunst eröffnet; Museen für Kunst und Gewerbe, wie das Hamburger Haus sich nennt. Der seinem Gebrauch gegenüber gleichgültige Gegenstand, insofern dessen Wert nur über den Tausch in Form von Geld bestimmt wird, wirkt merkwürdig unglaubwürdig in dem Augenblick, in dem ihm jene vergesellschaftete real-abstrakte Form museal abgesprochen wird. Letztlich stellt sich bei einem Schaustück wie einem Stuhl oder einem Apple-Computer der 80er Jahre dennoch die Frage: wie viel Geld war er oder ist er wert? Man durchschaut das blasse, angebliche Vergnügen, nämlich die Behauptung, ein Stuhl sei mehr als der im Tausch nivellierte Gebrauchswert, nämlich Kunst, wenn denn schon der Gebrauch des Stuhls, sich bequem auf ihn setzen zu können, zunehmend belanglos wirkt. Die schöne Form (im, gegen und durch einen Inhalt) ist im schon länger währenden Kapitalismus meist nur noch ein Gespenst, eine Erinnerung, ein Gerücht. Das ist vermutlich der Impuls der angewandten Gesellschaftskunst, das Versprechen von Authentizität und Echtheit in der Art vorkapitalistischer Verhältnisse geben zu wollen. Nur dass der Stuhl, das Objekt, hier als Gemeinschaft des Sozialen phantasiert, eingebildet wird als etwas, das vereinnahmt, geformt und außerhalb der warenproduzierenden Kunstgesellschaft vorgestellt werden kann. Die Tendenz der Verdinglichung des Menschen wird im Grunde nachgeahmt; an dem naturhaft erscheinenden Kapitalverhältnis und dessen Verkehrtheiten und Fetischformen wird nicht das Verkehrte, Verrückte des Ganzen als katastrophal kritisiert, vielmehr wird das Versprechen der unmittelbaren Natur beim Wort genommen, wegen der ausbleibenden Versöhnung wird Verrat empfunden, um von diesem Punkt aus als ‚Bewegung’ Gemeinschaften zu fordern, die sich selbst alles sind.
Die Bezeichnung ‚Manifest’ assoziiert Bewegungen der Avantgarde in der Kunst, die sich z.B. als Surrealismus, Futurismus, Dadaismus, Bauhaus, Situationismus formierten, und deren schlechtestes Zeugnis ihrer Kunst häufig gerade das Manifestmäßige war. Affirmation, Reproduktion und Überbietung der Gewaltverhältnisse als Elemente ihrer Credos, bis zu jener Sympathie einiger Futuristen und Surrealisten mit dem Faschismus, kulminiert einmal mehr in diesen Tagen, wenn ‚kommende Aufstände’ phantasiert und gewünscht werden, deren Wunsch der Eliminierung halbwegs zivilisatorischer Verhältnisse sich manifestiert in dem Hass auf ‚Finanzkapitalisten’ und ‚Spekulanten’, deren Personifikation Juden, und deren Staaten die USA und vor allem Israel sind. Das offensichtliche Kokettieren mit den ‚Bewegungen’ unserer Zeit offenbart sich in den Aktivitäten der Biennale unter Zmijewski, die auffordert, jeder Künstler „weltweit“ möge Kunst einreichen und dazu angeben, welche „politische Neigung“ er habe (‚Open Call’ und ‚(P)act for Art’); das zeigt sich in Texten wie „Die Empörten sind unter uns“ und „Der Marsch der Empörten wird weitergehen“ oder in der Aktion, man solle das Buch von Sarrazin an Sammelstellen zurückgeben; nach dem Muster der Mülltrennung wird aufgerufen: „Deutschland schafft es ab.“ Der Gedanke der Errettung per Wiederverwertung eines Subjekts ‚Deutschland’ schließt Kategorienbildung wie die eines ‚Es’ nachgerade aus. Als Akt gegen die Sublimierung sucht man sich ein Wir, das die wesentliche Kritik gegen Sarrazin, seinen völkischen Geist, eben nicht vorträgt, sondern diesen reformiert und ‚Deutschland’ ökologisch einwandfrei bestätigt. Einwandfrei sah man sich auch, als am Tag des Antrags auf Mitgliedschaft in den UN die Biennale eine Aktion unterstützte, bei der am Checkpoint Charlie Passanten ihre Pässe mit einem Einreisestempel für Palästina stempeln lassen konnten; Wiedervereinigung als Reenactment an der ehemaligen Grenze der deutschen Teilung, an der zudem das Ende des kurzen Jahrhunderts als Einstieg in Machtphantasien eines Weltsouveräns symbolisch markiert wurde.
Kunst, deren Wahrheit ihre Unmöglichkeit angesichts des ‚Zivilisationsbruchs’ der Shoah und deren Realität die mehr oder weniger bereitwillige Hingabe an die Sachzwänge einer allumfassenden kulturindustriellen Totalität ist, entstünde und bestünde, wenn sie als solche noch irgendwie wahr sein soll (und Beispiele sind überwiegend historisch zu finden)10, unter den vermittelten Formbedingungen des je Besonderen des einzelnen Künstlers, dem je Außerordentlichen des einzelnen Kunstwerks, der Inkommensurabilität, des Nicht–Verfügbaren und Nicht-Nützlichen, der in einem Kunstwerk eingesetzten Möglichkeit von Erfahrung der Freiheit des einzelnen Menschen von der falschen Einrichtung der Verhältnisse. All dies wird durch den Bewegungsfetischismus aufgehoben und denunziert11. Man sollte also ehrlicherweise von einem Manifest für angewandte Gesellschaft reden. Die Tendenz zu Künstlergruppen (also Gruppenkünstlern)12, Kuratorengruppen, der Trend zum Identitären, der zu beobachten ist, der redundante Herrschaftsanspruch13 wie die Negation der ‚Sphärentrennung'14, das Dementi der Autorschaft, der Reiz des Anonymous, all das kennt kein Objekt mehr, keinen Gegenstand außerhalb, alles fällt in eins, in ‚Echtzeit’, und verfällt wahnhaft, vielleicht weil unreflektiert gekränkt wegen des Bedeutungsverlustes des Selbst - angesichts des dem Kapital gleichgültigen je besonderen Individuums, dem Verlust des Subjektiven im Tauschverhältnis – in das Muster der Gemeinschaft, und betreibt nahezu das Gegenteil dessen, was Kunst noch bestimmen könnte. Deren Doppelcharakter als Ware wie als Objekt jenseits des Verwertungszusammenhangs, welches sich in der ‚Wahrheit des Ichs’ und dem Vorrang des Objekts gegen die Ansprüche der Totalität der Gesellschaft versucht, wird preisgegeben in einer Weise, die mit Zerstörungswut die letzten Residuen des Aufscheins von Freiheit von dem falschen Ganzen eliminieren möchte.

Der nun als Künstler sich positionierende Zmijewski, der im postmodernen Jargon „Ereignissequenzen in Gang setzen“ möchte und einen „Spielzug auf dem erregten Spielfeld"15 gestalten möchte, sagte in einem Fernsehbeitrag der Sendung Kulturzeit auf 3Sat16, er sei nicht zuständig für die Erklärung der Wirkung seiner Werke. Dessen ungeachtet schien es den TV-Journalisten mit den Worten der FAZ sowieso wichtiger gewesen zu sein, zu betonen, dass „Werk und Künstler eine öffentliche, inhaltliche Diskussion vor der Entscheidung verdient gehabt"17 hätten. Eine Diskussion über die Entscheidung der Hausleitung im Martin-Gropius-Bau, ein Werk von Zmijewski kommentarlos und ohne um Erlaubnis zu bitten (bei der Kuratorin, beim Künstler) aus der Ausstellung „Tür an Tür: Polen - Deutschland“ herauszunehmen. Der TV-Beitrag, die Kuratorin Anda Rottenberg u.a. sprachen von Zensur18. Zmijewski zeigte in der Ausstellung in dem Film ‚Berek’ (‚Fangen’) von 1999 nackte Menschen in der  Gaskammer eines Vernichtungslagers, die dort lachend und rumalbernd Fangen spielen. Der Film soll besonders durch den Originalschauplatz schockieren, seine „Echtheit“ ist ein provozierendes Element seiner Dramaturgie. Der Ort wird jedoch nur durch die historische Tat der Vernichtung zu dem, was er symbolisiert. Weder der Name des Vernichtungslagers, noch dessen Opfer werden in dem Film genannt. Die Opfer sind in ihrer Namenlosigkeit nur ‚Manövriermasse’. Auch wird nicht angegeben, wer die Akteure in dem Film sind und wie ihre Anstellung zustande kam. In einem Gespräch mit seiner Co- Kuratorin Joanna Warsza erklärt sich Zmijewski dann doch. Der Film ‚Berek’ beruhe „auf einer Wahrnehmungsdissonanz zwischen einem korrekten, also stillen und zurückhaltenden Verhalten an einem solchen Ort und dem abrupten Eingriff der nackten, von der Bewegung erhitzten Körper. Das Ergebnis ist das Gefühl einer nahezu obszönen, pornografischen Erleichterung. Niemand stirbt und gleichzeitig vermittelt das Bild vitale, sexuelle Energie."19 Eine Dramaturgie, die durch Zmijewskis ‚Spiel’ mit Verweigerung und Erklärung zu Haltung und Anspruch seines Films sowohl Rätsel aufgeben soll, wie sie brutal und ‚lustbetont’ die Vernichtung kathartisch nachzuvollziehen sucht, ohne von ihr zu sprechen. Ein Vorgang, der, hier aber als ‚Hanswurstiade’, an die Worte von Gerhard Scheit zu Wagner, der Methodik seines (Wagners) Antisemitismus und der Shoah denken lässt: „Es etablierte sich in diesem ‚seelischen Versteckspiel’ eine eigene Metaphorik der Anspielung, die dem Ahnungsvollen andeutete, was geschah, und es zugleich verbarg, falls die falsche Scham noch nicht ganz überwunden sein sollte. Sie ließ um die Vernichtungslager eine Art von Aura entstehen – verlieh ihnen einen quasi-religiösen Status.“ Und: „...die Vernichtungslager waren geheime Kultstätten des Nationalsozialismus. Die Aura des Geheimnisvollen erwies sich zugleich als die denkbar beste Taktik, um zum heilsgeschichtlichen Ziel des Nationalsozialismus zu gelangen. Sie bewirkte vor allem, dass die Betroffenen bis zuletzt keine Klarheit darüber gewinnen konnten, was man mit ihnen vorhatte. Die Mythisierung der planmäßigen Vernichtung endete in jenen falschen Duschen der Vernichtungslager, durch die man das Gas einströmen ließ."20 Dass die Mythisierung durch Zmijewski im Grunde wiederholt wird, ohne sie als solche mit irgendeiner Position der Distanz begreiflich zu machen, lässt Spekulationen und Erörterungen darüber, was Zmijewski motiviert haben mag, jenen Raum, der es Betrachtern ermöglicht, sich in affirmativen Ahnungen zu ergehen, während zugleich Zmijewski sich als Opfer der Verfolgung, „Zensur“, schon bereit hält.21 Der Zwang, die Shoah derart entsetzlich verdinglichen zu wollen, also die Frage, was ihn zu diesem ‚Joke’ getrieben hat, wird dann durch Praxis beantwortet, wenn er in einem anderem Kunstwerk (Video ‚80064’ von 2004) einen Auschwitzüberlebenden drängt, die Tätowierung seiner Häftlingsnummer ‚aufzufrischen’, sich ein zweites Mal das Symbol der Entmenschlichung eintragen zu lassen. „Ich habe den Mann genötigt und missbraucht. Ich wollte ihn noch mal zum Opfer machen, um diesen Moment zu beobachten, in dem er zustimmte, Opfer zu sein“ (Zmijewski laut art-Kunstmagazin 26.7.2007)22. Die Verantwortlichen, Künstler und Kuratorin, wollten also eine Podiumsdiskussion, in der darüber kontrovers geredet wird, was die Kunst darf, und hier verallgemeinert sich die Boshaftigkeit und Häme, die man Zmijewski durchaus unterstellen darf, in der sich pluralistisch konstituierenden Gemeinschaft der Kunstangestellten, die am historischen Zentrum der Volksgemeinschaft sich austauschen soll, ob die mögliche, aber nicht gewollte (oder doch?) Verhöhnung der Opfer der Shoah zensurabel ist oder nicht. Es scheint Genuss ähnlich dem Sadomasochismus zu versprechen, mit dem Ticket des „umstrittenen“ Künstlers das Täter-Opfer-Verhältnis ‚nachzufühlen’, sowohl als Akt der erzeugten Selbstqual wie mit kalkulierter Brutalität, die an Ernst Jünger erinnert.
Es blieb im Übrigen dem Leiter des Centrum Judaicum, Hermann Simon, überlassen, die Absetzung der Stücks von Zmijewski zu fordern, nachdem die Ausstellung bereits wochenlang lief und Bundespräsident Wulff und Staatspräsident Komorowski samt dem zahlenmäßig nicht kleinen Vernissagepublikum an dem Gaskammerfilm vorbei flaniert waren.

Die israelisch-niederländische Künstlerin Yael Bartana ist eine der Gäste der nächsten, siebten Biennale Berlin 2012, die bereits seit Monaten auf deren Website beworben wird. Bartana hat mit Unterstützung von Zmijewski und dem „leftist acitivist“ (Artreview) Slawomir Sierakowski (beide sind Herausgeber bzw. Künstlerischer Leiter der linken Gruppierung und des gleichnamigen Magazins ‚Krytyka Polityczna’) eine Bewegung zur Rückkehr der Juden nach Polen gegründet; das ‚Jewish Renaissance Movement in Poland- JRMiP, „Bewegung Jüdischer Wiedergeburt in Polen“, wie es übersetzt wird. Auf Berlin.de („dem offiziellen Hauptstadtportal“) liest man: „Seit ihrer Gründung 2007 hat die Bewegung internationalen Zuspruch erhalten und zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden.“ Und es wird aus deren Selbstbeschreibung, dem Manifest der JRMiP zitiert: „Dies ist unsere Antwort auf die herrschenden Krisenzeiten, in denen sich der Glaube erschöpft hat und die alten Utopien gescheitert sind. Der Optimismus stirbt aus. Das verheißene Paradies ist privatisiert worden. Die Äpfel und Wassermelonen aus dem Kibbuz haben ihre Saftigkeit verloren. (...) Unser Aufruf richtet sich nicht nur an Juden. In unsere Reihen nehmen wir alle auf, für die in ihren Heimatländern kein Platz ist – die Vertriebenen und Verfolgten. In unserer Bewegung wird es keine Diskriminierung geben. Wir werden nicht in Euren Lebensläufen graben, Aufenthaltsgenehmigungen kontrollieren, Euren Flüchtlingsstatus überprüfen. Wir werden stark sein in unserer Schwäche"23. Und die JRMiP erklärt auf der Website der Berlin Biennale unter dem Stichwort JRMiP Congress: „Auch wenn diese Rückkehr, zumindest am Anfang symbolisch sein wird, müssen erste Schritte gemacht werden. Die Jüdinnen und Juden von heute sind nicht identisch mit jenen, die aus Europa vertrieben wurden – die Europäerinnen und Europäer von heute sind nicht diejenigen, die für die “ethnische Säuberung” (!) verantwortlich waren. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um sich wieder zu vereinen – um Europa, Israel und möglicherweise auch den gesamten Nahen Osten zu verändern."24 Dieses „Projekt“ wurde zuletzt u.a. auf der Biennale in Venedig im polnischen Pavillon gezeigt, unter dem Titel "...and Europe will be stunned", in etwa zu übersetzen mit "Europa wird sprachlos, überwältigt sein". Eine Art Gesamtkunstwerk, das Bartana seit 2007 mit unterschiedlichsten Medien und Materialien als Work in Progress herstellt. Sie produziert und inszeniert Filme, Objekte, Fotografien und Plakate, Uniformen, Fahnen, Abzeichen, Tableux Vivants, ein Manifest usw., in denen die ‚Bewegung’ dargestellt wird, sich ausdrückt, konstituiert. Sie war mit ihrer ‚Bewegung’ auf etlichen großen Ausstellungen und Festivals vertreten, Berlinale, Documenta, Steirischer Herbst usw. Im Zentrum des Werks steht eine Filmtrilogie mit den Filmen ‚Mary Koszmary’ (Dreams and Nightmares) 2007, ‚Mur i wieza’ (Wall and Tower) 2009, ‚Zamach’ (Assassination) 2011 sowie die Performance ‚We will be strong in our weakness’ (aufgeführt z.B. beim Festival ‚Polski Express’ im HAU Berlin 2011). Ist im Manifest der Gesellschaftskünstler die Utopie in Wahrheit nur als Dystopie bestimmbar, könnte hier das Fiktionale und Utopische zum Szenario des Schreckens werden. Bartana und ihre Mitstreiter fordern die Rückkehr von 3,3 Millionen Juden nach Polen, ob tot oder lebendig, ist nicht ganz klar. Laut der Enzyklopädie des Holocaust beträgt „die Mindestzahl der polnisch-jüdischen Opfer der Vernichtungsstätten beträgt über 2 Millionen, hinzu kommen etwa 700 000 Tote aus Ghettos, Arbeitslagern und infolge unmittelbaren Mordes (> Einsatzgruppen, Exekutionen)"25. Die (Spiel-)Filme stehen im Zentrum des Werks und nehmen im Stil der Dokumentation und der Propaganda dieses Ereignis vorweg. Die Form der Doku-Fiction/Reality-Show muss als Maßstab der Kritik mitbegriffen werden. Es geht um einen Realismus der Intervention, und an diesem Anspruch eigener Glaubwürdigkeit der ‚Bewegung’ muss das Werk beurteilt werden. Man sieht die Entstehung der ‚Bewegung’, die in Uniformen inkl. Halstuch, Armbinde (assoziativ ein helles Feld (Davidstern/Adler) auf dunklem Grund) und mit Fahnen ihre Losung veröffentlicht. Im alten, verfallenen Olympiastadion von Warschau sieht man eine Versammlung der Bewegungsaktivisten (zum Teil Schauspieler, zum Teil wirkliche Aktivisten, Juden, die Juden spielen), die einer in polnisch gehaltenen Rede des namenlosen Anführers zuhört, in der Juden zur Rückkehr aufgerufen werden; in dem Gelände, auf dem einst das Warschauer Ghetto stand, bauen die Bewegungsmitglieder eine Art Wehrdorf oder Lager aus Holz mit Wachturm und Stacheldraht, und besiedeln derart als Juden das heutige Polen. Der Anführer der ‚Bewegung’ (gespielt von Sierakowski) fällt einem Attentat zum Opfer, sein Begräbnis als ‚Märtyrer’ schafft erst recht die Voraussetzung für die ‚Bewegung’.26 Die Filme werden (so in Venedig) im Kinoambiente einer ‚Black Box’ abgespielt, und führen in suggestiver Weise (Ton, Schnitt, Zeitlupe, Überblendungen, Wiederholung, Gesang) das Erstarken der ‚Bewegung’ vor. Davidstern und polnischer Adler werden ineinander gelegt und bilden deren Symbol. Die Filme zitieren, zum Teil in karikierender Weise, Elemente der Ästhetik des Zionismus vor allem der 30er Jahre, der seinerzeit in Film und Fotografie die Errungenschaften der jüdischen Besiedlung im damaligen britischen Mandatsgebiet zeigte, und als Ausdruck der Hoffnung und Zukunft gerade für verfolgte Juden in aller Welt, insbesondere auch der Jugend, Anleihen an russischer Avantgarde, Konstruktivismus und dem Formenrepertoire der Moderne nahm. Die Ambivalenz der Filme von Bartana ist signifikant. Es wird der Anschein der Ernsthaftigkeit vorgetragen, die Rückkehr wirklich zu wollen (man kann auch Mitglied werden), zugleich wird der Zionismus ironisch instrumentalisiert und latent denunziert, durchaus spöttisch, um das Unmögliche des mit Ernst vertretenen Anliegens zu zeigen. Die ‚Dummheiten’ der Massenbewegungen des 20. Jahrhundert werden gerade ihm zugeschrieben, Andeutungen eines Führerkults, der Frohsinn der Menge, die Neigung zu Fanatismus und Pathos. So wirkt die Versammlung im Stadion von Warschau einerseits explizit dürftig und inszeniert, eher als ein Beispiel von Realitätsverlust, der doch andererseits als Prinzip des Utopischen gepriesen wird. Die Unmöglichkeit der „Rückkehr“, in Kenntnis der Geschichte der Shoah, die Dämonie des Projekts, (das gegenüber realen Wünschen von Juden nur konzeptionell Interesse zeigen kann), impliziert zugleich durch die zionistische Gestalt der ‚Bewegung’ die Unmöglichkeit des Lebens in Israel. Was als Provokation der Europäer daher kommt, zielt letztlich, in jeder der explizit oder implizit angedeuteten Lesarten des Spektakels, gegen Israel.
Der Antisemitismus in Polen, der nach 1945 bis in die 1970er Jahre die nach der Shoah in Polen verbliebenen Juden zwang, das Land zu verlassen, die Pogrome und Verfolgung von 1918-1939, die antisemitische und antizionistische Hetze im staatssozialistischen Polen 1968 sind entgegen öffentlicher Mutmaßungen nicht ausdrücklich Gegenstand des Kunstwerks von Bartana. Die historischen Verweise sind selten und bleiben im Ungefähren. Als ‚Zeitzeugin’ berichtet anlässlich der Totengedenkfeier der JRMiP die Autorin Alona Frankel von ihrer Vertreibung aus Polen nach der Befreiung und fordert ihren polnischen Pass zurück.27 Im ersten Film werden Grabsteine und das Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des Warschauer Ghettos gezeigt, welches jedoch gerade nicht als Verweis originären polnischen Antisemitismus bestimmbar wäre. Ansonsten gibt es eher sentimentale Anspielungen, die von offenen Wunden sprechen; Juden könnten das Leben von 40 Millionen Polen verändern, wird als Versprechen auf dem Rasen des Stadions nieder geschrieben. Bartana und ihr Team machen den Betrachter nicht explizit aufmerksam auf antisemitische Kontinuität und deren Aktualität in Polen. Dass deutschsprachige Rezensenten fast ausschließlich diese Deutung wiedergeben, liegt wohl an dem Bedürfnis, das hier anscheinend befriedigt wird, mal nicht auf die eigene Geschichte blicken zu müssen.28 Dabei spricht schon die Zahl der erwünschten Rückkehrer von den jüdisch-polnischen Opfern der Shoah in Polen. Unbeirrt von dem Befund, dass Millionen Juden Polen nie verließen, sondern dort ermordet wurden, erfährt man trotz des dokumentarisch-politischen Gestus auch nichts von der Kollaboration in Polen. Bartanas ‚Bewegung’ ruft die Juden im Gegenteil zur Rückkehr in ihre „Heimat“ auf. Was als Provokation daher kommt, soll eine Art ahistorischen Naturzustand ‚ironisch’ wieder herstellen, der unironisch nahelegt, wie unnatürlich demnach die Existenz des jüdischen Staates Israel ist. Die ganze Vorführung des Künstlichen in der Ästhetisierung des Zionismus (Bartana meint auch zynisch-witzelnd, sich dafür auf Leni Riefenstahl berufen zu müssen)29 appelliert objektiv daran, Israel aufzugeben. Dass in ihrem Manifest die Rückkehr aller Flüchtlinge weltweit in ihre Heimat gefordert wird, verweist auf zweierlei Aktualitäten: die Rückkehrforderung der Palästinenser in „ihr“ Land und, da wir uns in Berlin befinden, auf die deutschen Vertriebenen, deren Wohlwollen Bartana sicher sein dürfte. Das im Manifest von Humanität, Frieden und Freundschaft die Rede ist, macht den ganzen Zusammenhang um so schmerzhafter und tückischer und entspricht in etwa den Hamas-Freunden weltweit, die den Islamisten beistehen wollen, in dem sie im Namen der Humanität die Verteidigung Israels durch die Blockade Gazas brechen wollten und wollen. Passenderweise wird in einem der Filme von Bartana die Nationalhymne Israels, die Hatikva, rückwärts abgespielt.
Das Verhältnis von erfahrbarer Realität, Vermittlung und Abstraktion in der Kunst, der notwendig widerspruchsvolle Abstand zum Engagement im jeweiligen Werk, wird aufgelöst zugunsten der Evidenz, die jedem einleuchten soll: Antirassismus. Die Identität des Nicht-Identitären wird hergestellt, insofern das Werk narrativ, logisch ausgearbeitet ist. Es setzt auf Suggestion und Überwältigung. Alles ist funktional an seinem Platz. Widerstand gegen das eigene Vorhaben imaginiert sich das Werk von Bartana von außerhalb, der Anführer der ‚Bewegung’ wird ermordet, so, als nehme die Szene die Realität vorweg; die Verschwörung gegen die ‚Bewegung’ wird nahegelegt. Jemand wird den Biennalisten nachstellen. So lassen sie Verhältnisse verschwinden, ideologische und warenproduzierende gleichermaßen. Die Aktivisten sind gezwungen, Politik zu machen. Manche Kunstrezensenten finden das gut und honorieren das Vorgehen von Bartana als bemerkenswerte Provokation, als „brisante Mischung aus Kunst und Politik “ (ORF)30, als einen Anlass zum Nachdenklich-Sein, als kompensatorischer Akt gewissermaßen, gegen die zu verdrängende Realität eigener Ressentiments, dem Einverständnis mit ihnen, wie der Gleichgültigkeit gegenüber dem Stand der Dinge des Antisemitismus und des Hasses auf das gewählte Objekt des Hasses, Israel.

Während Fluxus das Programm zur Überwindung der Trennung von Kunst und Leben, wie es hieß, zum einen überwiegend individualisierte und sehr persönlich jeweils austrug, und zudem die Trennung zugunsten von Kunst aufheben mochte, trieb Beuys seine Bewegung eher von der Kunst ins Leben, bis ihm letztlich Alles in Eins fiel, ob es Soziale Plastik hieß, oder er die Parole verkündete, dass jeder Mensch ein Künstler sei, er Parteien (Grünen) beitrat und sie selbst gründete. Nicht zuletzt dieser Drang zum Populären machte ihn zu dem deutschen Künstler nach 1945, dessen Gesamtkunstwerk „Flieger, Filz und Vaterland“, wie eine Biografie titelte, zusammenführte, und sich als das Gegenteil von Warhol eignete. Der Hang zum Ursprünglichen, das Sein-an-sich (Energie, Fett, Tier, Alchemie, Schamane usw.) fand bei Beuys auch in der Gegnerschaft gegen Geld und Zins seinen Ausdruck. So fuhr er in der Arbeit ‚I like America and America likes me’ komplett verhüllt, so daß er nichts von dem Land sehen musste, in die USA, lebte dort abgeschirmt mit einem Coyoten in einem geschlossenen Raum, und verließ die Vereinigten Staaten wieder unter dieser selbst erwählten Quarantäne.31 Die ikonografische Bestimmung bei Bartana diesbezüglich bleibt vage, wobei das instrumentelle Verhältnis zum Tod des Bewegungsanführers, und die bei dessen Totengedenkfeier auf einer Bühne sitzenden Darsteller von Honoratioren und historischen Bürgen als prominente Unterstützer32 der ‚Bewegung’ eben dieses Ungefähre betonen. Nach Joachim Bruhn gerät auch das Gedenken, die Erinnerung in den Sog der Krise, also auch in das Feld der Ideologie des Schluss-machens.33 Als wollten sie sich in einem Nichts der Erinnerung, der Null des Geschichtlichen, „erlösen“, könnte das Ressentiment gegen den Zins übersetzt werden in das, was mit dem Schlagwort „Holocaust-Industrie“ hetzt, dass die Juden die Shoah „instrumentalisieren“ würden. Auch Zmijewski hofft auf Künstler, die „in der Lage sind, Utopien zu verwirklichen und eine Situation heraufbeschwören, in der die Unterdrückungsmechanismen der kapitalistischen Wirtschaft aufgehoben sind. Statt einer Ökonomie des Profits herrscht plötzlich die Ökonomie der Gabe."34 An anderer Stelle spricht er von den „Wächtern der Kunstwelt“, die versuchen ihn an „die Kette“ zu legen, und meint, dass Politik „eher eine Fälschung ist, ein Ersatz, der von professionalisierten Eliten politischer Bürokratie gepflegt wird, die dem Bürger die Politik aus der Hand genommen habe.35 Als Co- Kuratoren der Biennale wurde von Zmijewski die Gruppe der Kunstaktivisten ‚Woina’ eingeladen, die „ohne festen Wohnsitz auskommen, ohne Dokumente, und prinzipiell kein Geld in die Hand nehmen."36

„Noch das äußerste Bewußtsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten“, schreibt Adorno, bevor er feststellt, dass nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben barbarisch sei;37 das lässt auch die Dreistigkeit fürchten, in der die Täter der Shoah und ihre Nachfahren sich in der Zurschaustellung der Vernichtung, die sich als ‚Aufarbeitung’, ‚Bewältigung’, ‚Versöhnung’ rhetorisch und ideologisch demonstriert, selbst normalisieren, wie es etwa beispielhaft und monströs am Holocaustmahnmal in Berlin gezeigt wird. Komplementär wäre in dem Biennale-Projekt, neben Indifferenz gegenüber den Opfern der Shoah, die latente bis offene Ignoranz gegenüber dem Widerstand, der Befreiung, der Rettung, des Überlebens, also gegenüber dem, was den Überlebenden Israel zum Heimatstaat machte und macht, und andere Staaten des Westens wie die USA, feststellbar. Der Imperativ Adornos ist ebenso konkret und geschichtlich bezogen, wie er kein Beitrag fürs Poesiealbum der Völkerverständiger ist. Das bestimmt gerade seine universelle Gültigkeit. Konsequent muss von daher den Aktivisten der JRMiP der Antisemitismus in der üblichen Reihung als rassistisches Vorurteil erscheinen, die Shoah polnisch werden38, Revisionismus gespielt werden und die Geschichte der Vernichtung zum Gegenstand eines Spektakels werden. Die ‚Bewegung’ will während der Biennale eine Konferenz im HAU veranstalten, um ihre Forderungen und Erwartungen öffentlich zu diskutieren. Die Konferenz ist der künstlerische Beitrag von Yael Bartana zur Biennale. Vorbereitungskonferenzen haben bereits stattgefunden. ‚Meinen die das ernst?’, war die häufig erstgestellte Frage von Besuchern in Venedig. Es ließe sich aktualisiert mit dem eingangs gesetzten Zitat antworten: ‚Sind die metaphorischen Rätsel, die Bartanas/Zmijewskis Phantasie(n) aufgeben, nicht die politische Strategie? Gehört nicht die Verunsicherung essentiell zum Antisemitismus – Verunsicherung darüber, was Israel sei, was es zum Staat der Juden und zum Juden unter den Staaten mache und was infolgedessen mit ihm, Israel, zu geschehen habe?’
Weil sie, die Aktivisten, wissen, es wissen müssen, dass Antisemitismus Vernichtung der Juden will, und Antisemitismus gegenwärtig als Israelkritik, Antizionismus, Friedensbewegung daherkommt, und in Deutschland39 wie in Europa, mit der Option zur Massenbewegung, in Parteien, NGOs, Migrantenverbänden, Nazivereinigungen, Moscheen und Kirchengemeinden seine politische Kraft gewinnt und reproduziert, sollten sie bedenken, dass ihr Vorschlag objektiv nur als Einladung zu verstehen (wie mit ‚interesselosem Wohlgefallen’ mißzuverstehen) ist, der Drohung einer zweiten Shoah in und gegen Israel, wie gegenwärtig durch die islamistischen Regimes in Teheran samt ihrer Verbündeten, Unterstützung zu geben.
So es denn dazu kommen sollte in Berlin 2012, empfiehlt sich die Forderung: keine Tickets gegen Israel, der Kurator tritt zurück, aus guten Gründen der Autonomie der Kunst und der Aufklärung. Solidarität mit Israel.

Werner Fleischer
15.03.2012


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1Gerhard Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus.
2. verb., erw.  Ausgabe. Freiburg 2006. S. 320
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2Stephan Speicher: Ein trüber Schelmenroman. Süddeutsche Zeitung vom 12./ 13.11.2011.
Dort heißt es u.a.: „Der Schelm nutzt die Schwächen der Menschen, erteilt ihnen eine Lektion über Geiz, Habgier, Lüsternheit. Ähnliches hat auch Heinz Berggruen getan. Aber die Schwächen, die er nutzte, waren moralische Stärken, das Vertrauen der Briten in die Fairness des Partners, das Gefühl der Deutschen für ihre Schuld an den Juden. Hier kommt eine Überlegenheit ins Spiel, die etwas Trübes hat.“ Und Speicher wirft Berggruen mit der Autorin Vivien Stein dessen „Kosmopolitismus als Blendfassade einer Haltung“ vor, „die sich nirgends an den notwendigen gesellschaftlichen Kosten beteiligen will.“
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3Salomon Korn: Offener Brief an Friedrich Christian Flick vom 17. Mai 2004. Frankfurt a.M. 2004. „Ihre ‚Flick- Collection’ stammt mittelbar aus jenen Quellen, aus denen ursprünglich das Blutgeld Ihres Großvaters sprudelte.“ in: haGalil.com 28.02.12
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4Günther Jacob: Die Metaphern des Holocaust während des Kosovokriegs. 1999 – Heft 1/ 2000 S.179
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5Alex Feuerherdt: Alles bewältigt, nichts begriffen. Konkret 3/2012 S.21
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6Ebenda S.20
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7wie Anm.4. S.183
„Das Projekt Berlin-Birkenau bringt einige Hundert junge Birken aus der Umgebung von Auschwitz-Birkenau nach Berlin“, schreibt die Berlin Biennale über das Kunstwerk „Berlin-Birkenau“ von Lukasz Surowiec.. Die „Birkensetzlinge schaffen ein persönliches, auf Eigeninitiative beruhendes Mahnmal, dessen Erhalt von seinem Besitzer abhängt.“ Website Berlin Biennale Zugriff 15.3.2012 .  - Diese „postmortale Adoption“ (Eike Geisel), eine Art Recycling von ‚Kitsch und Tod’, ließe sich mit Eike Geisel beschreiben, dass „aus der Asche der Ermordeten der Stoff geworden“ ist, mit dem sich das neue Deutschland „das gute Gewissen macht.“ Eike Geisel: Opfersehnsucht und Judenneid. (1994). Ders.: Triumph des guten Willens. Berlin 1998. S.60
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8Goethe-Institut Polen November 2011 Text: Anna Theiss.
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9Claudia Wahjudi: Mehr Leben! Der Tagesspiegel 18.02.2011.
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10Siehe Jan-Georg Gerber: Kunst, Recycling, Entsorgung. Mit Benjamin gegen Adorno. Bahamas Nr. 63 Winter 2011/12 S.52/54. „War das Kunstwerk in den Worten Benjamins stets auch Ausdruck von Barbarei, hat sich der Geist durch Auschwitz aus Kunst und Kultur verflüchtigt: Auschwitz hat „das Misslingen der Kultur unwiderleglich bewiesen“. (Adorno, Negative Dialektik). „War die Kunst im heroischen Zeitalter des Bürgertums sowohl Kritiker als auch Statthalter einer „besseren Praxis“ (Adorno, Ästhetische Theorie), wird die Erinnerung daran, was Kunst einmal war, in der postnazistischen Epoche zum Statthalter der Kunst.“
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11„Zu welchen handfesten und sichtbaren politischen Veränderungen hat diese autonome Kunst denn in der Vergangenheit beigetragen?“ Zmijewski Interview mit Catrin Lorch: Keine Kunst, bitte! SZ 12.01.2012
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12So wird von der israelischen Gruppe ‚Public Movement’ berichtet, welche als Kunstbeitrag zur Ausstellung ‚The Ungovernables’ in New York Veranstaltungen plant, „um zu ergründen, wie New York es mit den Muslimen und wie Israel es mit den Palästinensern hält und halten sollte. Die als ‚Salons’ bezeichneten Workshops, Debatten und Abstimmungen sollen nicht zuletzt von den organisatorischen Übungen der Occupy-Bewegung profitieren.“ Siehe Jordan Mejias: Die Unregierbaren gehören an die Regierung. FAZ 24.02.2012 (siehe auch unten die Gruppe ‚Woina’ und Anm. 27.)
Durch die neue Situation mit Occupy-Bewegung, Stuttgart 21 oder Tahrir-Platz sehe Okwui Enwezor „neue Möglichkeiten der Parallelführung von künstlerischer und politischer Praxis“, berichtet die SZ am 14.01.2012.  Und der Kunstkritiker Beaucamp meint, „die einst verdächtige, provozierende, avantgardistische Kunst, ursprünglich Spitze der modernen Bewegung, hat ihre Autonomie und Reinheit behauptet, sie verschmähte konsequent die unreinen, inhaltlichen, historischen und  politischen Beimischungen.“ Diese „Wirklichkeit eigenen ästhetischen Rechts“ sei ein „Pyrrhussieg“ und “westliche Staatskunst“ geworden. “Von dieser Westkunst erwartet man schon lange keine Einwände und Gegenentwürfe, keine kritischen Kommentare zu den weltbewegenden Ereignissen.... Erst im postmodernen Medienmix, ...werden neue Querverbindungen und Dialoge gesucht.“ Eduard Beaucamp: Avantgarde macht Staat. FAZ 03.02.2012
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13Siehe auch zur Kritik der Entwicklung den Vortrag von Till Gathmann: Hot shit. Bildende Kunst heute. Konferenz ‚Die Kunst der Freiheit. Autonomie und Engagement nach Sartre und Adorno’ vom 30.9. – 02.10.2011 in Wien
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14Siehe Dan Diner: Versiegelte Zeit. Über den Stillstand in der islamischen Welt. Berlin 2005. S. 17/ 18
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15Artur Zmijewski im Gespräch mit Joanna Warsza. In: das magazin der kulturstiftung des bundes No.18 Herbst/ Winter 2011 S. 37
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163Sat- Kulturzeit 23.11.2011 Autor: Tom Fugmann/ Moderatorin: Cecile Schortmann.
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17swka: Aus Respekt. FAZ 01.11.2011
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18„Es ist schon erstaunlich: Ich versuche mit der traumatischen Vergangenheit umzugehen, mit den Konsequenzen des deutschen Kolonialismus (!), und werde dafür in Deutschland zensiert.“ Zmijewski im Interview mit Catrin Lorch: Keine Kunst, bitte! SZ 12.01.2012. Er kritisiert außerdem, „wir Deutschen hätten keine Identität, würden belastet durch unsere Vergangenheit“ und „die Menschen in Deutschland hätten keine Freiheit mehr zu reagieren ...“ Swantje Karich: Der Provokateur hat es nicht schwer. FAZ 19.01.2012
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19Zmijewski im Gespräch mit Warsza. siehe oben S. 37
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20wie Anm.1  S.325
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21Günter Jacob wies darauf hin, dass mit der Behauptung, „die Heuchelei des Gedenkens bloßzustellen“ und um „Nazi-Symbole lächerlich zu machen“,„seit den 80er Jahren verschiedene Musiker und Maler die Verwendung von Hakenkreuzen, Hitler-Reden und Leni Riefenstahl-Zitaten“ rechtfertigten. „Dieses ‚provokante Spiel’  mit den Metaphern und Symbolen des Nationalsozialismus steht –allen Kunst- und Symboltheorien zum Trotz – nach dem Holocaust prinzipiell unter Affirmationsverdacht.“ Nicht wenige, die sich auf den Kunstvorbehalt berufen, „sind schon bald zu der Ankündigung übergegangen, dass sie sich in ihre Kunstfreiheit von Juden und ihnen hörigen dogmatischen Antifaschisten nicht weiter hinein reden lassen wollen.“ Wie Anm.4  S.166
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22Gerhard Mack: Posieren mit Handicap. Artur Zmijewski Documenta 12. www.art-magazin.de 26/07/2007 Zugriff: 16.09.2011
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23Berlin.de Das offizielle Hauptstadtportal am 15.09.2011 siehe auch das Manifest der JRMiP in : www.steirischerherbst.at/2011/deutsch/presse/presse_download/ZweiteWelt2spreads_web.pdf
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24Website Berlin Biennale - JRMiP Congress 21.07.2011
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25aus: Enzyklopädie des Holocaust. Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß. München 1997. S.645
Raul Hilberg nennt für das Jahr 1939 3 350 000 jüdische Einwohner Polens, für das Jahr 1945 50 000. Er weist auf etwa 300 000 Flüchtlinge, Deportierte und Überlebende in der UdSSR des Jahres 1945 hin, unter ihnen wohl auch polnische Juden, die nach Polen vorläufig zurückkehrten. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Band 3. Frankfurt a. M. 1990. S. 1116
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26Juden, wir vermissen Euch", steht auf einem Poster über der trauernden Menge. Ein Politiker hält sehr überzeugend eine Trauerrede nach dem fiktiven Attentat auf den Anführer der fiktiven "Jüdischen Renaissance-Bewegung" und bittet 3,3 Millionen polnische Juden, aus dem Holocaust zurückzukommen, um Polen zu erretten vor der Langeweile der Homogenität und der Stagnation.“ Diese Lesart wird anscheinend möglich, hier bei Sabine Oppolzer: Brisanter polnischer Pavillon in Venedig. ORF- Kulturjournal 21.06.2011 
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27Schritte in dieser Richtung unternahm 1998 Staatspräsident Kwasniewski und 2008 die Regierung Kaczynski (selbst wiederum zum Teil verbündet mit antisemitischen Gruppierungen), eingeschränkt für die Verfolgten der Kampagne 1968 gegen die angebliche „zionistische Verschwörung“, die, teilweise unter den Losung ‚Zionisten nach Zion’, mehrere zehntausend Juden zwang, Polen zu verlassen. Bislang blieb es offensichtlich nur bei Ankündigungen. ul: Vertriebene Juden erhalten wieder polnische Pässe. FAZ 06.03.2008 
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28Siehe z.B. Christoph Richter: „Heim nach Polen“. Deutschlandradio 28.05.2010 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/ausderjuedischenwelt/1191773/ 
Besonders krass Kolja Reichert: „Sie (Bartana) zielt auf die Überwindung hinfälliger Festschreibungen durch Rasse, Religion, Geschlecht und Nationalität, die über den ganzen Lauf der Geschichte zur Erfindung und Unterdrückung von Minderheiten führen. Und am Beispiel welcher Minderheit ließ sich diese Utopie für Europäer plausibler ausbuchstabieren als an der jüdischen.“ Kolja Reichert: Entartete Kunst lebt! Die Welt 06.01.2012
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29Ob sie an Hollywood gedacht habe? „Nein, es ging mir um Propaganda, wie bei Leni Riefenstahl." Sie (Bartana) lacht: „Aber so gut wie Riefenstahl bin ich nicht." In: Daniel Boese/ Jan Brykczynski: Propaganda für Polen. art Das Kunstmagazin Ausgabe 6/ 2011. www. art-magazin.de – 15/09/2011.
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30Wie Anm.26 
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31Till Gathmann Vortrag Hot shit in Wien siehe Anm.13. Beuys sympathisierte u.a. mit Rudolf Steiner, Aktion Dritter Weg, Silvio Gesell. Und immer wieder, nachdem man ‚tabula rasa’ gemacht hat, fängt man an derselben Stelle an und baut dasselbe alte Finanzsystem wieder auf, hauptsächlich weil bisher eben nie bedacht worden ist, dass die Funktion des Geldes selber ein ganz entscheidender Kulturfaktor ist, dass mit einer unwahren Geldwirtschaft niemals eine wahre Kultur entstehen kann“, sagt Michael Ende und Joseph Beuys erwidert: „Da sind wir an einem Punkt, da treten einem die nicht tief genug durchdachten Modelle von Silvio Gesell vor Augen, der natürlich durchaus recht hat, wenn er sagt: Geld ist ein unlauterer Konkurrent zur Ware. Steiner hat später auch noch einmal diesen Passus von Gesell in seinen nationalökonomischen Kurs aufgenommen. ... Es wurde sogar zugestanden, in kleineren Gemeinden so etwas zu praktizieren.“ Aus: Michael Ende und Joseph Beuys: Kunst und Politik – ein Gespräch. Wangen 1989 in: Silvio-Gesell.de Weitere Stimmen zu Silvio Gesell 01.03.2012Auf den Kern der Sache zurückgeführt, kann gesagt werden, daß zwei Strukturelemente der im 20. Jahrhundert zur Herrschaft gekommenen Gesellschaftsordnungen die eigentlichen Ursachen der ganzen Misere darstellen: DAS GELD UND DER STAAT, das heißt die Rollen, die dem Geld und dem Staat in diesen Systemen eingeräumt werden.“ Joseph Beuys: Aufruf zur Alternative. FR 23.12.1978 Nachdruck im Juni 1979 S.3 
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32Alona Frankel, der Journalist Yaron London, der eine „eine zionistische Rede“ hält, in der er darauf „beharrt (!), dass Israel und seine Armee die einzige Garantie sind gegen einen weiteren Holocaust“ (Reichert in: Die Welt s.o.) und die Kuratorin Anda Rottenberg, die ein um den Hals geschlungenes Palästinensertuch präsentiert, und „für die versöhnende Kraft der Kultur und der Kunst steht.“ In: www.goethe.de/ins/pl/lp/kul/dup/bku/ber/bie/de8482905.htm Goethe-Institut Polen Nov. 2011 Text: Lidia Pankow. Zugriff: 07.03.2012 
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33„Die Echtzeit des Kapitals besteht in der Tendenz, sich selber = Null zu setzen; sie ist die Aufhebung jeder Zeit, damit auch die Aufhebung jeden Gedächtnisses, jeder Geschichte und jedweder Erfahrung. Damit ist schon der gesellschaftliche Grund gesetzt, warum es unmöglich ist, aus irgendwelchen politisch angedrehten Gedenkübungen an die Ermordung der Juden je ein kritisches Bewusstsein der Geschichte zu gewinnen, weil die Zeit des Kapitals dessen Vorrausetzung, das Gedächtnis, zerstört.“
Joachim Bruhn: Echtzeit des Kapitals, Gewalt des Souveräns. Über die Zukunft der Krise. In: Bahamas Nr. 63 Winter 2011/12 S. 71 
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34Zmijewski im Gespräch mit Warsza S.36 siehe Anm.15 
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35ebd. S.37 
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36Kerstin Holm: Wahre Kunst bedeutet Krieg. FAZ 19.01.2012 Dort zu der Gruppe: „In der modernen Welt im Naturzustand der Jäger und Sammler zu leben gehört zum künstlerischen Ethos der Petersburger Aktionsgruppe mit dem zivilisationskritischen Namen „Woina“ (Krieg).“ „Ich schätze die Gruppe, sie haben die Stadt St. Petersburg in ein Schlachtfeld umdefiniert“, sagt Zmijewski SZ  Lorch 12.01.12 siehe Anm.18 
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37„Noch das äußerste Bewußtsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten. Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft (1949). In: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I. S. 30 Frankfurt a. M. 1977 
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38„In aller gebotenen Kürze will ich mich hier einem Aspekt notwendig falscher historischer Kausalisierung widmen: der in die überhistorische Metapher der Shoa gefaßten Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis und ihrer Bebilderung durch vorgelagerte Geschichtserfahrung – vornehmlich Bilder herkömmlichen Antisemitismus bzw. der Nationalitätenfrage in Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit 1919-1939.“  Dass die Herleitung „notwendig falsch“ sein müsse, erklärt Diner  damit, dass die „Massenvernichtung der europäischen Juden (..) eine Statistik, aber kein Narrativ (hat). Soll der ständig erfolgende Verweis auf den besonderen Charakter der Massenvernichtung als bürokratisch und industriell mehr gewesen sein als eine rhetorische Figur für das gesteigerte Böse, so findet er seinen tieferen Sinn darin, daß die fabrikmäßig erfolgte millionenfache Stanzung von Lebensgeschichten in ein gleichförmiges tödliches Schicksal dem Ereignis im nachlebenden Bewusstsein jegliche Erzählstruktur nimmt.“ Diesen Zustand „zerstörter Erzählstruktur’ bestimmt Diner mit dem Begriff der „gestauten Zeit“. Diner: „Für die Konstruktion des  nationalen Narrativs (Israels, W.F.) grundlegend ist die Verschränkung der sich abstrakt anmutenden Massenvernichtung mit Elementen geschichtsfähiger Bebilderung, die vornehmlich der polnisch-jüdischen Lebenswirklichkeit der Vorkriegszeit entnommen sind.“ (Hervorhebungen durch den Verf.)
Dan Diner: Gestaute Zeit. Massenvernichtung und jüdische Erzählstruktur. In: ders.: Kreisläufe. Nationalsozialismus und Gedächtnis. Berlin 1995 S.125 ff. (Der „Bewegung“ von Zmijewski/Bartana jedoch ein „notwendig“ falsches Bewußtsein zu Gute zu halten, verfehlt die Sache, die hier falsch läuft und die hier kritisiert wird. Sie handeln völlig ungezwungen und freiwillig, alles geschieht in ihrer Verantwortung.)
39siehe Alex Feuerherdt: Alles bewältigt, nichts begriffen. Konkret Heft 3/2012 S. 20 ff.