„Sind die metaphorischen Rätsel, die Wagners Phantasie
aufgibt, nicht die politische Strategie? Gehört nicht die Verunsicherung
essentiell zum Antisemitismus – Verunsicherung darüber, wer ein Jude sei, was
ihn zum Juden mache und was infolgedessen mit ihm zu geschehen habe?“ Gerhard
Scheit1
Berufungen werden meist zur Kenntnis genommen und so gab es kaum
öffentliche Nachfrage nach den Gründen der Gremien der Bundeskulturstiftung,
der Berliner Kunstwerke und sonstiger Persönlichkeiten des Institutionengefüges
Bildender Kunst, die dazu führten, sich bei der Entscheidung für die Position
des Kurators der Berlin Biennale 2012 für einen Aktivisten der Marke
‚All-in-One’ zu entscheiden oder diesen zu unterstützen, den polnischen
Künstler Artur Zmijewski. Für „das wichtigste Schaufenster für zeitgenössische
Kunst in Deutschland gehen alle zwei Jahre namhafte Kuratoren an der Start“,
schreibt die Kulturstiftung des Bundes, die der Veranstaltung 2,5 Millionen
Euro zur Verfügung stellt, auf ihrer Website. Zmijewski sei „ein international
viel beachteter Künstler“, der „vor allem soziale und politische Themen
bearbeitet.“ Er habe „eine deutliche Haltung zum sozialen Aktivismus
entwickelt“, heißt es in einem Werbefaltblatt, das von den Berliner Kunstwerken
KW Institute for Contemporary Art, die die Biennale organisiert, verbreitet
wird. „Lasst die Kunst Lösungen für den sozialen und politischen Bereich
anbieten! Statt Fragen zu stellen, möchte ich, dass die nächste Biennale
Antworten liefert, dass sie künstlerische Sprachen und Strategien benutzt, um
für gemeinsame Ziele zu kämpfen“, wird Zmijewski in dem Faltblatt zitiert. Das
lässt ein Motiv sichtbar werden, dass als Grund der Berufung von Zmijewski die in
Deutschland tradierte Sehnsucht nach Aufhebung jeglicher Vermittlung und der damit
verbundene chronische Verdacht gegen Abstraktionen (des Westens und seiner
Kunst) eine Rolle gespielt haben mag, da hier einer als Protagonist gefunden
wurde, der ‚Lösungen anbieten, Antworten liefern’ will.
„Die deutsche Hauptstadt gilt als ideale Bühne“, schreibt die
Bundeskulturstiftung über Berlin, die sich bald täglich als Welthauptstadt der
Kunst imaginiert und ob der großen Anzahl verarmter Stellenloser und Niedriglöhner,
die sich als Kunstschaffende behaupten, bewiesen haben will, man sei im
Konkurrenzkampf der Standorte an New York, London und Paris allemal
vorbeigezogen. Erst jüngst wurde Berlin wieder als Opfer ermittelt. Der Sammler
Berggruen habe vor allem aus hinterlistigem Händlerkalkül seine Sammlung der
Stadt verkauft, zu einem ‚falschen’ Preis. Es sei ihm nicht um eine Stiftung,
ein Geschenk gegangen, sondern um den Zugewinn, den ihm der Berliner Auftritt
als Kunsthändler verschafft habe, behauptete sinngemäß Stephan Speicher in der SZ2. Man
erinnert sich auch an die Berliner Kunstszene, die mal das im
Nationalsozialismus verfolgten Juden geraubte Gemälde ‚Berliner Straßenszene’
von Ernst Ludwig Kirchner gegen die Restitution und gegen Anwälte der
Rechtsnachfolger dieser Juden für Deutschland retten wollte, mal den Nazi-Erben
Flick hofierte, dessen Sammlung Salomon Korn als ein mit dem „Blutgeld“ von
Opfern des NS aufgebaute Kunstsammlung kritisierte.3 (Die
Biennale selbst betrieb das ‚Occupy’, als sie 2006 die ehemalige Jüdische
Mädchenschule in der Auguststraße als kulturelles Spielbein entdeckte und dort
Kunstwerke zeigte.) Die ‚Topographien des Terrors’, wie es euphemistisch heißt,
sind Aktivposten des Stadt-Marketings, die, nicht immer freiwillig, vom Libeskind-Bau
über die Kollwitz-Krypta bis zum ‚Untergang’ von Eichinger, sakral wirkend den
gerade in seiner Negativität wie geweiht gefassten Ort ausbilden, in dem so
etwas wie Scham zum – dem Begriff nach nicht möglichen – Allgemeinplatz wird,
und Fragen zu Schuld und Verantwortung als Andacht gegeben werden. Das
Andächtige jedoch bedarf, so scheint es und hat etwas Zynisches, gerade wegen
des ihm eigenen Dezenten und Vermittelten, der fortlaufenden ‚Modernisierung’.
„Die öffentliche Erinnerungspolitik hat sich inzwischen darauf geeinigt, dass
die weltpolitischen Ambitionen Deutschlands es erfordern, das
„Holocaust-Problem“ offensiv anzugehen,“ stellt Günther Jacob fest.4 Wobei
beim „Aufarbeitungs- und Gedenkweltmeister“5 Deutschland, der sich einbildet, dass ihn dafür „in anderen Ländern manche
beneiden“ (Eberhard Jäckel)6,
„Erinnerung und Spurenauslöschung immer wieder Hand in Hand gehen.7 Dabei
besteht Konsens darüber, dass Kunst als Mittel der Ästhetisierung des
Politischen zu einer Politik des Gedenkens Deutschlands an sich selbst
beitragen soll, diesem „Unstaat“ (Franz Neumann) der Volksgemeinschaft, dessen
Hauptanliegen die Vernichtung der Juden war. Das schafft mitunter Probleme,
Legitimationsbedarf, und braucht ein bestimmtes Kunstverständnis. Da wirkt es
nur folgerichtig im Nachhinein, wenn der Künstlerkurator Zmijewski sich auch
als Autor beweisen konnte, und 2007 ein ‚Manifest für Angewandte
Gesellschaftskunst’ veröffentlichte. Darin heißt es laut Goethe-Institut, „die Kunst habe ihren Einfluss auf die
Wirklichkeit verloren,“ und das Manifest fordert, „sie müsse wieder als ein
Instrument der Wissenschaft, Bildung und Politik gebraucht und jenen gegenüber
geöffnet werden, die nicht vor ihr auf die Knie fallen, sondern in einen
wirklichen Dialog mit ihr eintreten können.“8
„Unter der Überschrift
‚Angewandte Gesellschaftskunst’ bescheinigt Zmijewski dem heutigen Schaffen
dramatische Wirkungslosigkeit. Die Autonomie der Kunst bedeute auch ein Fehlen
von verbindlichen Maßstäben und Einfluss, meint er. Deshalb ruft er dazu auf,
Kunst ‚wieder als ein Instrument der Wissenschaft, Bildung und Politik’ zu
gebrauchen, fordert er mehr Engagement und Haltung sowie mehr Zusammenarbeit
mit Menschen, die Kunst fernstehen,“ berichtet der Tagesspiegel über Zmijewski, und: „es gibt keine Trennung zwischen
Kunst und Leben“, laute der Leitsatz der Berlin-Biennale.9
Befand man für Gebrauchsgegenstände des Alltags wie des Kultes, die auch
als Beutesymbole der ursprünglichen Akkumulation wie als Beweis der
vermeintlichen Primitivität anderer Gesellschaften dienen konnten, sogenannte
Völkerkundemuseen (heute Museen der Kulturen der Welt) für angemessen, wurden
im Zuge der Entwicklung der bürgerlichen Herrschaft des Kapitals Museen für
Angewandte Kunst eröffnet; Museen für Kunst und Gewerbe, wie das Hamburger Haus
sich nennt. Der seinem Gebrauch gegenüber gleichgültige Gegenstand, insofern
dessen Wert nur über den Tausch in Form von Geld bestimmt wird, wirkt
merkwürdig unglaubwürdig in dem Augenblick, in dem ihm jene vergesellschaftete
real-abstrakte Form museal abgesprochen wird. Letztlich stellt sich bei einem
Schaustück wie einem Stuhl oder einem Apple-Computer der 80er Jahre dennoch
die Frage: wie viel Geld war er oder ist er wert? Man durchschaut das blasse,
angebliche Vergnügen, nämlich die Behauptung, ein Stuhl sei mehr als der im
Tausch nivellierte Gebrauchswert, nämlich Kunst, wenn denn schon der Gebrauch
des Stuhls, sich bequem auf ihn setzen zu können, zunehmend belanglos wirkt.
Die schöne Form (im, gegen und durch einen Inhalt) ist im schon länger
währenden Kapitalismus meist nur noch ein Gespenst, eine Erinnerung, ein
Gerücht. Das ist vermutlich der Impuls der angewandten Gesellschaftskunst, das
Versprechen von Authentizität und Echtheit in der Art vorkapitalistischer Verhältnisse
geben zu wollen. Nur dass der Stuhl, das Objekt, hier als Gemeinschaft des
Sozialen phantasiert, eingebildet wird als etwas, das vereinnahmt, geformt und
außerhalb der warenproduzierenden Kunstgesellschaft vorgestellt werden kann.
Die Tendenz der Verdinglichung des Menschen wird im Grunde nachgeahmt; an dem
naturhaft erscheinenden Kapitalverhältnis und dessen Verkehrtheiten und
Fetischformen wird nicht das Verkehrte, Verrückte des Ganzen als katastrophal
kritisiert, vielmehr wird das Versprechen der unmittelbaren Natur beim Wort genommen,
wegen der ausbleibenden Versöhnung wird Verrat empfunden, um von diesem Punkt
aus als ‚Bewegung’ Gemeinschaften zu fordern, die sich selbst alles sind.
Die Bezeichnung ‚Manifest’ assoziiert Bewegungen der Avantgarde in der
Kunst, die sich z.B. als Surrealismus, Futurismus, Dadaismus, Bauhaus, Situationismus
formierten, und deren schlechtestes Zeugnis ihrer Kunst häufig gerade das
Manifestmäßige war. Affirmation, Reproduktion und Überbietung der
Gewaltverhältnisse als Elemente ihrer Credos, bis zu jener Sympathie einiger
Futuristen und Surrealisten mit dem Faschismus, kulminiert einmal mehr in
diesen Tagen, wenn ‚kommende Aufstände’ phantasiert und gewünscht werden, deren
Wunsch der Eliminierung halbwegs zivilisatorischer Verhältnisse sich
manifestiert in dem Hass auf ‚Finanzkapitalisten’ und ‚Spekulanten’, deren
Personifikation Juden, und deren Staaten die USA und vor allem Israel sind. Das
offensichtliche Kokettieren mit den ‚Bewegungen’ unserer Zeit offenbart sich in
den Aktivitäten der Biennale unter Zmijewski, die auffordert, jeder Künstler
„weltweit“ möge Kunst einreichen und dazu angeben, welche „politische Neigung“
er habe (‚Open Call’ und ‚(P)act for Art’); das zeigt sich in Texten wie
„Die Empörten sind unter uns“ und „Der Marsch der Empörten wird weitergehen“ oder
in der Aktion, man solle das Buch von Sarrazin an Sammelstellen zurückgeben; nach
dem Muster der Mülltrennung wird aufgerufen: „Deutschland schafft es ab.“ Der
Gedanke der Errettung per Wiederverwertung eines Subjekts ‚Deutschland’
schließt Kategorienbildung wie die eines ‚Es’ nachgerade aus. Als Akt gegen die
Sublimierung sucht man sich ein Wir, das die wesentliche Kritik gegen Sarrazin,
seinen völkischen Geist, eben nicht vorträgt, sondern diesen reformiert und
‚Deutschland’ ökologisch einwandfrei bestätigt. Einwandfrei sah man sich auch,
als am Tag des Antrags auf Mitgliedschaft in den UN die Biennale eine Aktion
unterstützte, bei der am Checkpoint Charlie Passanten ihre Pässe mit einem Einreisestempel
für Palästina stempeln lassen konnten; Wiedervereinigung als Reenactment an der
ehemaligen Grenze der deutschen Teilung, an der zudem das Ende des kurzen
Jahrhunderts als Einstieg in Machtphantasien eines Weltsouveräns symbolisch
markiert wurde.
Kunst,
deren Wahrheit ihre Unmöglichkeit angesichts des ‚Zivilisationsbruchs’ der
Shoah und deren Realität die mehr oder weniger bereitwillige Hingabe an die
Sachzwänge einer allumfassenden kulturindustriellen Totalität ist, entstünde
und bestünde, wenn sie als solche noch irgendwie wahr sein soll (und Beispiele
sind überwiegend historisch zu finden)10, unter
den vermittelten Formbedingungen des je Besonderen des einzelnen Künstlers, dem
je Außerordentlichen des einzelnen Kunstwerks, der Inkommensurabilität, des
Nicht–Verfügbaren und Nicht-Nützlichen, der in einem Kunstwerk eingesetzten
Möglichkeit von Erfahrung der Freiheit des einzelnen Menschen von der falschen
Einrichtung der Verhältnisse. All dies wird durch den Bewegungsfetischismus
aufgehoben und denunziert11. Man
sollte also ehrlicherweise von einem Manifest für angewandte Gesellschaft
reden. Die Tendenz zu Künstlergruppen (also Gruppenkünstlern)12,
Kuratorengruppen, der Trend zum Identitären, der zu beobachten ist, der
redundante Herrschaftsanspruch13 wie die
Negation der ‚Sphärentrennung'14, das
Dementi der Autorschaft, der Reiz des Anonymous, all das kennt kein Objekt
mehr, keinen Gegenstand außerhalb, alles fällt in eins, in ‚Echtzeit’, und
verfällt wahnhaft, vielleicht weil unreflektiert gekränkt wegen des
Bedeutungsverlustes des Selbst - angesichts des dem Kapital gleichgültigen je
besonderen Individuums, dem Verlust des Subjektiven im Tauschverhältnis – in
das Muster der Gemeinschaft, und betreibt nahezu das Gegenteil dessen, was
Kunst noch bestimmen könnte. Deren Doppelcharakter als Ware wie als Objekt
jenseits des Verwertungszusammenhangs, welches sich in der ‚Wahrheit des Ichs’
und dem Vorrang des Objekts gegen die Ansprüche der Totalität der Gesellschaft
versucht, wird preisgegeben in einer Weise, die mit Zerstörungswut die letzten
Residuen des Aufscheins von Freiheit von dem falschen Ganzen eliminieren möchte.
Der nun als Künstler sich positionierende Zmijewski, der im postmodernen
Jargon „Ereignissequenzen in Gang setzen“ möchte und einen „Spielzug auf dem
erregten Spielfeld"15 gestalten möchte, sagte in einem Fernsehbeitrag der Sendung Kulturzeit auf 3Sat16, er sei
nicht zuständig für die Erklärung der Wirkung seiner Werke. Dessen ungeachtet
schien es den TV-Journalisten mit den Worten der FAZ sowieso wichtiger gewesen
zu sein, zu betonen, dass „Werk und Künstler eine öffentliche, inhaltliche
Diskussion vor der Entscheidung verdient gehabt"17 hätten.
Eine Diskussion über die Entscheidung der Hausleitung im Martin-Gropius-Bau,
ein Werk von Zmijewski kommentarlos und ohne um Erlaubnis zu bitten (bei der
Kuratorin, beim Künstler) aus der Ausstellung „Tür an Tür: Polen - Deutschland“
herauszunehmen. Der TV-Beitrag, die Kuratorin Anda Rottenberg u.a. sprachen von
Zensur18.
Zmijewski zeigte in der Ausstellung in dem Film ‚Berek’ (‚Fangen’) von 1999
nackte Menschen in der Gaskammer eines
Vernichtungslagers, die dort lachend und rumalbernd Fangen spielen. Der Film soll
besonders durch den Originalschauplatz schockieren, seine „Echtheit“ ist ein
provozierendes Element seiner Dramaturgie. Der Ort wird jedoch nur durch die
historische Tat der Vernichtung zu dem, was er symbolisiert. Weder der Name des
Vernichtungslagers, noch dessen Opfer werden in dem Film genannt. Die Opfer
sind in ihrer Namenlosigkeit nur ‚Manövriermasse’. Auch wird nicht angegeben,
wer die Akteure in dem Film sind und wie ihre Anstellung zustande kam. In einem
Gespräch mit seiner Co- Kuratorin Joanna Warsza erklärt sich Zmijewski dann
doch. Der Film ‚Berek’ beruhe „auf einer Wahrnehmungsdissonanz zwischen einem
korrekten, also stillen und zurückhaltenden Verhalten an einem solchen Ort und
dem abrupten Eingriff der nackten, von der Bewegung erhitzten Körper. Das
Ergebnis ist das Gefühl einer nahezu obszönen, pornografischen Erleichterung. Niemand
stirbt und gleichzeitig vermittelt das Bild vitale, sexuelle Energie."19 Eine
Dramaturgie, die durch Zmijewskis ‚Spiel’ mit Verweigerung und Erklärung zu
Haltung und Anspruch seines Films sowohl Rätsel aufgeben soll, wie sie brutal
und ‚lustbetont’ die Vernichtung kathartisch nachzuvollziehen sucht, ohne von
ihr zu sprechen. Ein Vorgang, der, hier aber als ‚Hanswurstiade’, an die Worte
von Gerhard Scheit zu Wagner, der Methodik seines (Wagners) Antisemitismus und
der Shoah denken lässt: „Es etablierte sich in diesem ‚seelischen
Versteckspiel’ eine eigene Metaphorik der Anspielung, die dem Ahnungsvollen
andeutete, was geschah, und es zugleich verbarg, falls die falsche Scham noch
nicht ganz überwunden sein sollte. Sie ließ um die Vernichtungslager eine Art
von Aura entstehen – verlieh ihnen einen quasi-religiösen Status.“ Und: „...die
Vernichtungslager waren geheime
Kultstätten des Nationalsozialismus. Die Aura des Geheimnisvollen erwies sich
zugleich als die denkbar beste Taktik, um zum heilsgeschichtlichen Ziel des
Nationalsozialismus zu gelangen. Sie bewirkte vor allem, dass die Betroffenen
bis zuletzt keine Klarheit darüber gewinnen konnten, was man mit ihnen
vorhatte. Die Mythisierung der planmäßigen Vernichtung endete in jenen falschen
Duschen der Vernichtungslager, durch die man das Gas einströmen ließ."20 Dass
die Mythisierung durch Zmijewski im Grunde wiederholt wird, ohne sie als solche
mit irgendeiner Position der Distanz begreiflich zu machen, lässt Spekulationen
und Erörterungen darüber, was Zmijewski motiviert haben mag, jenen Raum, der es Betrachtern ermöglicht, sich in affirmativen Ahnungen zu ergehen, während
zugleich Zmijewski sich als Opfer der Verfolgung, „Zensur“, schon bereit hält.21 Der
Zwang, die Shoah derart entsetzlich verdinglichen zu wollen, also die Frage,
was ihn zu diesem ‚Joke’ getrieben hat, wird dann durch Praxis beantwortet,
wenn er in einem anderem Kunstwerk (Video ‚80064’ von 2004) einen
Auschwitzüberlebenden drängt, die Tätowierung seiner Häftlingsnummer
‚aufzufrischen’, sich ein zweites Mal das Symbol der Entmenschlichung eintragen
zu lassen. „Ich habe den Mann genötigt
und missbraucht. Ich wollte ihn noch mal zum Opfer machen, um diesen Moment zu
beobachten, in dem er zustimmte, Opfer zu sein“ (Zmijewski laut art-Kunstmagazin 26.7.2007)22.
Die Verantwortlichen, Künstler und Kuratorin, wollten also eine
Podiumsdiskussion, in der darüber kontrovers geredet wird, was die Kunst darf,
und hier verallgemeinert sich die Boshaftigkeit und Häme, die man Zmijewski
durchaus unterstellen darf, in der sich pluralistisch konstituierenden
Gemeinschaft der Kunstangestellten, die am historischen Zentrum der
Volksgemeinschaft sich austauschen soll, ob die mögliche, aber nicht gewollte (oder
doch?) Verhöhnung der Opfer der Shoah zensurabel ist oder nicht. Es scheint
Genuss ähnlich dem Sadomasochismus zu versprechen, mit dem Ticket des
„umstrittenen“ Künstlers das Täter-Opfer-Verhältnis ‚nachzufühlen’, sowohl als
Akt der erzeugten Selbstqual wie mit kalkulierter Brutalität, die an Ernst
Jünger erinnert.
Es blieb
im Übrigen dem Leiter des Centrum Judaicum, Hermann Simon, überlassen, die
Absetzung der Stücks von Zmijewski zu fordern, nachdem die Ausstellung bereits
wochenlang lief und Bundespräsident Wulff und Staatspräsident Komorowski samt dem
zahlenmäßig nicht kleinen Vernissagepublikum an dem Gaskammerfilm vorbei
flaniert waren.
Die israelisch-niederländische Künstlerin Yael Bartana ist eine der
Gäste der nächsten, siebten Biennale Berlin 2012, die bereits seit Monaten auf
deren Website beworben wird. Bartana hat mit Unterstützung von Zmijewski und
dem „leftist acitivist“ (Artreview)
Slawomir Sierakowski (beide sind Herausgeber bzw. Künstlerischer Leiter der
linken Gruppierung und des gleichnamigen Magazins ‚Krytyka Polityczna’) eine
Bewegung zur Rückkehr der Juden nach Polen gegründet; das ‚Jewish Renaissance
Movement in Poland- JRMiP, „Bewegung Jüdischer Wiedergeburt in Polen“, wie es
übersetzt wird. Auf Berlin.de („dem
offiziellen Hauptstadtportal“) liest man: „Seit ihrer Gründung 2007 hat die Bewegung internationalen Zuspruch
erhalten und zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden.“ Und es wird aus
deren Selbstbeschreibung, dem Manifest der JRMiP zitiert: „Dies ist unsere
Antwort auf die herrschenden Krisenzeiten, in denen sich der Glaube erschöpft
hat und die alten Utopien gescheitert sind. Der Optimismus stirbt aus. Das
verheißene Paradies ist privatisiert worden. Die Äpfel und Wassermelonen aus
dem Kibbuz haben ihre Saftigkeit verloren. (...) Unser Aufruf richtet sich nicht
nur an Juden. In unsere Reihen nehmen wir alle auf, für die in ihren
Heimatländern kein Platz ist – die Vertriebenen und Verfolgten. In unserer
Bewegung wird es keine Diskriminierung geben. Wir werden nicht in Euren
Lebensläufen graben, Aufenthaltsgenehmigungen kontrollieren, Euren
Flüchtlingsstatus überprüfen. Wir werden stark sein in unserer Schwäche"23. Und die JRMiP erklärt auf der Website der
Berlin Biennale unter dem Stichwort JRMiP Congress: „Auch wenn diese Rückkehr,
zumindest am Anfang symbolisch sein wird, müssen erste Schritte gemacht werden.
Die Jüdinnen und Juden von heute sind nicht identisch mit jenen, die aus Europa
vertrieben wurden – die Europäerinnen und Europäer von heute sind nicht
diejenigen, die für die “ethnische Säuberung” (!) verantwortlich waren. Dies ist
ein guter Zeitpunkt, um sich wieder zu vereinen – um Europa, Israel und
möglicherweise auch den gesamten Nahen Osten zu verändern."24 Dieses „Projekt“ wurde zuletzt u.a.
auf der Biennale in Venedig im polnischen Pavillon gezeigt, unter dem Titel "...and
Europe will be stunned", in etwa zu übersetzen mit "Europa wird
sprachlos, überwältigt sein". Eine Art Gesamtkunstwerk, das Bartana seit
2007 mit unterschiedlichsten Medien und Materialien als Work in Progress
herstellt. Sie produziert und inszeniert Filme, Objekte, Fotografien und
Plakate, Uniformen, Fahnen, Abzeichen, Tableux Vivants, ein Manifest usw., in
denen die ‚Bewegung’ dargestellt wird, sich ausdrückt, konstituiert. Sie war
mit ihrer ‚Bewegung’ auf etlichen großen Ausstellungen und Festivals vertreten,
Berlinale, Documenta, Steirischer Herbst usw. Im Zentrum des Werks steht eine
Filmtrilogie mit den Filmen ‚Mary Koszmary’ (Dreams and Nightmares) 2007, ‚Mur
i wieza’ (Wall and Tower) 2009, ‚Zamach’ (Assassination) 2011 sowie die
Performance ‚We will be strong in our weakness’ (aufgeführt z.B. beim Festival
‚Polski Express’ im HAU Berlin 2011). Ist im Manifest der Gesellschaftskünstler
die Utopie in Wahrheit nur als Dystopie bestimmbar, könnte hier das Fiktionale
und Utopische zum Szenario des Schreckens werden. Bartana und ihre Mitstreiter
fordern die Rückkehr von 3,3 Millionen Juden nach Polen, ob tot oder lebendig, ist
nicht ganz klar. Laut der Enzyklopädie des Holocaust beträgt „die Mindestzahl
der polnisch-jüdischen Opfer der Vernichtungsstätten beträgt über 2 Millionen,
hinzu kommen etwa 700 000 Tote aus Ghettos, Arbeitslagern und infolge
unmittelbaren Mordes (> Einsatzgruppen, Exekutionen)"25. Die
(Spiel-)Filme stehen im Zentrum des Werks und nehmen im Stil der Dokumentation
und der Propaganda dieses Ereignis vorweg. Die Form der
Doku-Fiction/Reality-Show muss als Maßstab der Kritik mitbegriffen werden. Es
geht um einen Realismus der Intervention, und an diesem Anspruch eigener
Glaubwürdigkeit der ‚Bewegung’ muss das Werk beurteilt werden. Man sieht die
Entstehung der ‚Bewegung’, die in Uniformen inkl. Halstuch, Armbinde
(assoziativ ein helles Feld (Davidstern/Adler) auf dunklem Grund) und mit
Fahnen ihre Losung veröffentlicht. Im alten, verfallenen Olympiastadion von
Warschau sieht man eine Versammlung der Bewegungsaktivisten (zum Teil
Schauspieler, zum Teil wirkliche Aktivisten, Juden, die Juden spielen), die
einer in polnisch gehaltenen Rede des namenlosen Anführers zuhört, in der Juden
zur Rückkehr aufgerufen werden; in dem Gelände, auf dem einst das Warschauer
Ghetto stand, bauen die Bewegungsmitglieder eine Art Wehrdorf oder Lager aus
Holz mit Wachturm und Stacheldraht, und besiedeln derart als Juden das heutige
Polen. Der Anführer der ‚Bewegung’ (gespielt von Sierakowski) fällt einem
Attentat zum Opfer, sein Begräbnis als ‚Märtyrer’ schafft erst recht die
Voraussetzung für die ‚Bewegung’.26 Die
Filme werden (so in Venedig) im Kinoambiente einer ‚Black Box’ abgespielt, und
führen in suggestiver Weise (Ton, Schnitt, Zeitlupe, Überblendungen,
Wiederholung, Gesang) das Erstarken der ‚Bewegung’ vor. Davidstern und
polnischer Adler werden ineinander gelegt und bilden deren Symbol. Die Filme
zitieren, zum Teil in karikierender Weise, Elemente der Ästhetik des Zionismus
vor allem der 30er Jahre, der seinerzeit in Film und Fotografie die
Errungenschaften der jüdischen Besiedlung im damaligen britischen Mandatsgebiet
zeigte, und als Ausdruck der Hoffnung und Zukunft gerade für verfolgte Juden in
aller Welt, insbesondere auch der Jugend, Anleihen an russischer Avantgarde,
Konstruktivismus und dem Formenrepertoire der Moderne nahm. Die Ambivalenz der
Filme von Bartana ist signifikant. Es wird der Anschein der Ernsthaftigkeit vorgetragen,
die Rückkehr wirklich zu wollen (man kann auch Mitglied werden), zugleich wird
der Zionismus ironisch instrumentalisiert und latent denunziert, durchaus
spöttisch, um das Unmögliche des mit Ernst vertretenen Anliegens zu zeigen. Die
‚Dummheiten’ der Massenbewegungen des 20. Jahrhundert werden gerade ihm
zugeschrieben, Andeutungen eines Führerkults, der Frohsinn der Menge, die
Neigung zu Fanatismus und Pathos. So wirkt die Versammlung im Stadion von
Warschau einerseits explizit dürftig und inszeniert, eher als ein Beispiel von
Realitätsverlust, der doch andererseits als Prinzip des Utopischen gepriesen
wird. Die Unmöglichkeit der „Rückkehr“, in Kenntnis der Geschichte der Shoah,
die Dämonie des Projekts, (das gegenüber realen Wünschen von Juden nur konzeptionell
Interesse zeigen kann), impliziert zugleich durch die zionistische Gestalt der
‚Bewegung’ die Unmöglichkeit des Lebens in Israel. Was als Provokation der
Europäer daher kommt, zielt letztlich, in jeder der explizit oder implizit
angedeuteten Lesarten des Spektakels, gegen Israel.
Der
Antisemitismus in Polen, der nach 1945 bis in die 1970er Jahre die nach der
Shoah in Polen verbliebenen Juden zwang, das Land zu verlassen, die Pogrome und
Verfolgung von 1918-1939, die antisemitische und antizionistische Hetze im
staatssozialistischen Polen 1968 sind entgegen öffentlicher Mutmaßungen nicht
ausdrücklich Gegenstand des Kunstwerks von Bartana. Die historischen Verweise
sind selten und bleiben im Ungefähren. Als ‚Zeitzeugin’ berichtet anlässlich
der Totengedenkfeier der JRMiP die Autorin Alona Frankel von ihrer Vertreibung
aus Polen nach der Befreiung und fordert ihren polnischen Pass zurück.27 Im
ersten Film werden Grabsteine und das Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des
Warschauer Ghettos gezeigt, welches jedoch gerade nicht als Verweis originären
polnischen Antisemitismus bestimmbar wäre. Ansonsten gibt es eher sentimentale
Anspielungen, die von offenen Wunden sprechen; Juden könnten das Leben von 40
Millionen Polen verändern, wird als Versprechen auf dem Rasen des Stadions
nieder geschrieben. Bartana und ihr Team machen den Betrachter nicht explizit
aufmerksam auf antisemitische Kontinuität und deren Aktualität in Polen. Dass
deutschsprachige Rezensenten fast ausschließlich diese Deutung wiedergeben,
liegt wohl an dem Bedürfnis, das hier anscheinend befriedigt wird, mal nicht
auf die eigene Geschichte blicken zu müssen.28 Dabei
spricht schon die Zahl der erwünschten Rückkehrer von den jüdisch-polnischen
Opfern der Shoah in Polen. Unbeirrt von dem Befund, dass Millionen Juden Polen
nie verließen, sondern dort ermordet wurden, erfährt man trotz des
dokumentarisch-politischen Gestus auch nichts von der Kollaboration in Polen.
Bartanas ‚Bewegung’ ruft die Juden im Gegenteil zur Rückkehr in ihre „Heimat“ auf.
Was als Provokation daher kommt, soll eine Art ahistorischen Naturzustand
‚ironisch’ wieder herstellen, der unironisch nahelegt, wie unnatürlich demnach
die Existenz des jüdischen Staates Israel ist. Die ganze Vorführung des
Künstlichen in der Ästhetisierung des Zionismus (Bartana meint auch
zynisch-witzelnd, sich dafür auf Leni Riefenstahl berufen zu müssen)29
appelliert objektiv daran, Israel aufzugeben. Dass in ihrem Manifest die
Rückkehr aller Flüchtlinge weltweit in ihre Heimat gefordert wird, verweist auf
zweierlei Aktualitäten: die Rückkehrforderung der Palästinenser in „ihr“ Land
und, da wir uns in Berlin befinden, auf die deutschen Vertriebenen, deren
Wohlwollen Bartana sicher sein dürfte. Das im Manifest von Humanität, Frieden
und Freundschaft die Rede ist, macht den ganzen Zusammenhang um so
schmerzhafter und tückischer und entspricht in etwa den Hamas-Freunden
weltweit, die den Islamisten beistehen wollen, in dem sie im Namen der
Humanität die Verteidigung Israels durch die Blockade Gazas brechen wollten und
wollen. Passenderweise wird in einem der Filme von Bartana die Nationalhymne
Israels, die Hatikva, rückwärts abgespielt.
Das
Verhältnis von erfahrbarer Realität, Vermittlung und Abstraktion in der Kunst,
der notwendig widerspruchsvolle Abstand zum Engagement im jeweiligen Werk, wird
aufgelöst zugunsten der Evidenz, die jedem einleuchten soll: Antirassismus. Die
Identität des Nicht-Identitären wird hergestellt, insofern das Werk narrativ,
logisch ausgearbeitet ist. Es setzt auf Suggestion und Überwältigung. Alles ist
funktional an seinem Platz. Widerstand gegen das eigene Vorhaben imaginiert
sich das Werk von Bartana von außerhalb, der Anführer der ‚Bewegung’ wird
ermordet, so, als nehme die Szene die Realität vorweg; die Verschwörung gegen
die ‚Bewegung’ wird nahegelegt. Jemand wird den Biennalisten nachstellen. So
lassen sie Verhältnisse verschwinden, ideologische und warenproduzierende
gleichermaßen. Die Aktivisten sind gezwungen, Politik zu machen. Manche
Kunstrezensenten finden das gut und honorieren das Vorgehen von Bartana als
bemerkenswerte Provokation, als „brisante Mischung aus Kunst und Politik “
(ORF)30, als
einen Anlass zum Nachdenklich-Sein, als kompensatorischer Akt gewissermaßen,
gegen die zu verdrängende Realität eigener Ressentiments, dem Einverständnis
mit ihnen, wie der Gleichgültigkeit gegenüber dem Stand der Dinge des
Antisemitismus und des Hasses auf das gewählte Objekt des Hasses, Israel.
Während
Fluxus das Programm zur Überwindung der Trennung von Kunst und Leben, wie es
hieß, zum einen überwiegend individualisierte und sehr persönlich jeweils
austrug, und zudem die Trennung zugunsten von Kunst aufheben mochte, trieb
Beuys seine Bewegung eher von der Kunst ins Leben, bis ihm letztlich Alles in
Eins fiel, ob es Soziale Plastik hieß, oder er die Parole verkündete, dass
jeder Mensch ein Künstler sei, er Parteien (Grünen) beitrat und sie selbst
gründete. Nicht zuletzt dieser Drang zum Populären machte ihn zu dem deutschen
Künstler nach 1945, dessen Gesamtkunstwerk „Flieger, Filz und Vaterland“, wie
eine Biografie titelte, zusammenführte, und sich als das Gegenteil von Warhol
eignete. Der Hang zum Ursprünglichen, das Sein-an-sich (Energie, Fett, Tier,
Alchemie, Schamane usw.) fand bei Beuys auch in der Gegnerschaft gegen Geld und
Zins seinen Ausdruck. So fuhr er in der Arbeit ‚I like America and America
likes me’ komplett verhüllt, so daß er nichts von dem Land sehen musste, in die
USA, lebte dort abgeschirmt mit einem Coyoten in einem geschlossenen Raum, und
verließ die Vereinigten Staaten wieder unter dieser selbst erwählten
Quarantäne.31 Die
ikonografische Bestimmung bei Bartana diesbezüglich bleibt vage, wobei das
instrumentelle Verhältnis zum Tod des Bewegungsanführers, und die bei dessen
Totengedenkfeier auf einer Bühne sitzenden Darsteller von Honoratioren und
historischen Bürgen als prominente Unterstützer32 der
‚Bewegung’ eben dieses Ungefähre betonen. Nach Joachim Bruhn gerät auch das
Gedenken, die Erinnerung in den Sog der Krise, also auch in das Feld der
Ideologie des Schluss-machens.33 Als
wollten sie sich in einem Nichts der Erinnerung, der Null des Geschichtlichen,
„erlösen“, könnte das Ressentiment gegen den Zins übersetzt werden in das, was
mit dem Schlagwort „Holocaust-Industrie“ hetzt, dass die Juden die Shoah
„instrumentalisieren“ würden. Auch Zmijewski hofft auf Künstler, die „in der
Lage sind, Utopien zu verwirklichen und eine Situation heraufbeschwören, in der
die Unterdrückungsmechanismen der kapitalistischen Wirtschaft aufgehoben sind.
Statt einer Ökonomie des Profits herrscht plötzlich die Ökonomie der Gabe."34 An
anderer Stelle spricht er von den „Wächtern der Kunstwelt“, die versuchen ihn
an „die Kette“ zu legen, und meint, dass Politik „eher eine Fälschung ist, ein
Ersatz, der von professionalisierten Eliten politischer Bürokratie gepflegt
wird, die dem Bürger die Politik aus der Hand genommen habe.35 Als Co-
Kuratoren der Biennale wurde von Zmijewski die Gruppe der Kunstaktivisten
‚Woina’ eingeladen, die „ohne festen Wohnsitz auskommen, ohne Dokumente, und
prinzipiell kein Geld in die Hand nehmen."36
„Noch
das äußerste Bewußtsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten“,
schreibt Adorno, bevor er feststellt, dass nach Auschwitz ein Gedicht zu
schreiben barbarisch sei;37 das
lässt auch die Dreistigkeit fürchten, in der die Täter der Shoah und ihre
Nachfahren sich in der Zurschaustellung der Vernichtung, die sich als
‚Aufarbeitung’, ‚Bewältigung’, ‚Versöhnung’ rhetorisch und ideologisch
demonstriert, selbst normalisieren, wie es etwa beispielhaft und monströs am
Holocaustmahnmal in Berlin gezeigt wird. Komplementär wäre in dem
Biennale-Projekt, neben Indifferenz gegenüber den Opfern der Shoah, die latente
bis offene Ignoranz gegenüber dem Widerstand, der Befreiung, der Rettung, des
Überlebens, also gegenüber dem, was den Überlebenden Israel zum Heimatstaat
machte und macht, und andere Staaten des Westens wie die USA, feststellbar. Der
Imperativ Adornos ist ebenso konkret und geschichtlich bezogen, wie er kein
Beitrag fürs Poesiealbum der Völkerverständiger ist. Das bestimmt gerade seine
universelle Gültigkeit. Konsequent muss von daher den Aktivisten der JRMiP der
Antisemitismus in der üblichen Reihung als rassistisches Vorurteil erscheinen,
die Shoah polnisch werden38,
Revisionismus gespielt werden und die Geschichte der Vernichtung zum Gegenstand
eines Spektakels werden. Die ‚Bewegung’ will während der Biennale eine
Konferenz im HAU veranstalten, um ihre Forderungen und Erwartungen öffentlich
zu diskutieren. Die Konferenz ist der künstlerische Beitrag von Yael Bartana
zur Biennale. Vorbereitungskonferenzen haben bereits stattgefunden. ‚Meinen die
das ernst?’, war die häufig erstgestellte Frage von Besuchern in Venedig. Es
ließe sich aktualisiert mit dem eingangs gesetzten Zitat antworten: ‚Sind die
metaphorischen Rätsel, die Bartanas/Zmijewskis Phantasie(n) aufgeben, nicht die
politische Strategie? Gehört nicht die Verunsicherung essentiell zum Antisemitismus
– Verunsicherung darüber, was Israel sei, was es zum Staat der Juden und zum
Juden unter den Staaten mache und was infolgedessen mit ihm, Israel, zu
geschehen habe?’
Weil
sie, die Aktivisten, wissen, es wissen müssen, dass Antisemitismus Vernichtung
der Juden will, und Antisemitismus gegenwärtig als Israelkritik, Antizionismus,
Friedensbewegung daherkommt, und in Deutschland39 wie in
Europa, mit der Option zur Massenbewegung, in Parteien, NGOs,
Migrantenverbänden, Nazivereinigungen, Moscheen und Kirchengemeinden seine
politische Kraft gewinnt und reproduziert, sollten sie bedenken, dass ihr
Vorschlag objektiv nur als Einladung zu verstehen (wie mit ‚interesselosem
Wohlgefallen’ mißzuverstehen) ist, der Drohung einer zweiten Shoah in und gegen
Israel, wie gegenwärtig durch die islamistischen Regimes in Teheran samt ihrer
Verbündeten, Unterstützung zu geben.
So
es denn dazu kommen sollte in Berlin 2012, empfiehlt sich die Forderung: keine
Tickets gegen Israel, der Kurator tritt zurück, aus guten Gründen der Autonomie
der Kunst und der Aufklärung. Solidarität mit Israel.
Werner Fleischer
15.03.2012
-->
1Gerhard Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld.
Zur Dramaturgie des Antisemitismus.
2. verb., erw.
Ausgabe. Freiburg 2006. S. 320
-->
2Stephan Speicher: Ein trüber Schelmenroman.
Süddeutsche Zeitung vom 12./ 13.11.2011.
Dort heißt es u.a.: „Der Schelm nutzt die Schwächen
der Menschen, erteilt ihnen eine Lektion über Geiz, Habgier, Lüsternheit.
Ähnliches hat auch Heinz Berggruen getan. Aber die Schwächen, die er nutzte,
waren moralische Stärken, das Vertrauen der Briten in die Fairness des
Partners, das Gefühl der Deutschen für ihre Schuld an den Juden. Hier kommt
eine Überlegenheit ins Spiel, die etwas Trübes hat.“ Und Speicher wirft
Berggruen mit der Autorin Vivien Stein dessen „Kosmopolitismus als Blendfassade
einer Haltung“ vor, „die sich nirgends an den notwendigen gesellschaftlichen
Kosten beteiligen will.“
-->
3Salomon Korn: Offener Brief an Friedrich Christian
Flick vom 17. Mai 2004. Frankfurt a.M. 2004. „Ihre ‚Flick- Collection’ stammt
mittelbar aus jenen Quellen, aus denen ursprünglich das Blutgeld Ihres
Großvaters sprudelte.“ in: haGalil.com 28.02.12
-->
4Günther Jacob: Die Metaphern des Holocaust während
des Kosovokriegs. 1999 – Heft 1/ 2000 S.179
-->
5Alex Feuerherdt: Alles bewältigt, nichts begriffen.
Konkret 3/2012 S.21
-->
6Ebenda S.20
-->
7wie Anm.4. S.183
„Das Projekt
Berlin-Birkenau bringt einige Hundert junge Birken aus der Umgebung von
Auschwitz-Birkenau nach Berlin“, schreibt die Berlin Biennale über das
Kunstwerk „Berlin-Birkenau“ von Lukasz Surowiec.. Die „Birkensetzlinge schaffen
ein persönliches, auf Eigeninitiative beruhendes Mahnmal, dessen Erhalt von
seinem Besitzer abhängt.“ Website Berlin Biennale Zugriff 15.3.2012 . - Diese „postmortale Adoption“ (Eike Geisel),
eine Art Recycling von ‚Kitsch und Tod’, ließe sich mit Eike Geisel
beschreiben, dass „aus der Asche der Ermordeten der Stoff geworden“ ist, mit
dem sich das neue Deutschland „das gute Gewissen macht.“ Eike Geisel:
Opfersehnsucht und Judenneid. (1994). Ders.: Triumph des guten Willens. Berlin
1998. S.60
-->
8Goethe-Institut Polen November 2011 Text: Anna
Theiss.
9Claudia Wahjudi: Mehr Leben! Der Tagesspiegel
18.02.2011.
10Siehe Jan-Georg Gerber: Kunst, Recycling, Entsorgung.
Mit Benjamin gegen Adorno. Bahamas Nr. 63 Winter 2011/12 S.52/54. „War das
Kunstwerk in den Worten Benjamins stets auch Ausdruck von Barbarei, hat sich
der Geist durch Auschwitz aus Kunst und Kultur verflüchtigt: Auschwitz hat „das
Misslingen der Kultur unwiderleglich bewiesen“. (Adorno, Negative Dialektik).
„War die Kunst im heroischen Zeitalter des Bürgertums sowohl Kritiker als auch
Statthalter einer „besseren Praxis“ (Adorno, Ästhetische Theorie), wird die Erinnerung
daran, was Kunst einmal war, in der postnazistischen Epoche zum Statthalter der
Kunst.“
-->
11„Zu welchen handfesten und sichtbaren politischen
Veränderungen hat diese autonome Kunst denn in der Vergangenheit beigetragen?“
Zmijewski Interview mit Catrin Lorch: Keine Kunst, bitte! SZ 12.01.2012
-->
12So wird von der israelischen Gruppe ‚Public Movement’
berichtet, welche als Kunstbeitrag zur Ausstellung ‚The Ungovernables’ in New
York Veranstaltungen plant, „um zu ergründen, wie New York es mit den Muslimen
und wie Israel es mit den Palästinensern hält und halten sollte. Die als
‚Salons’ bezeichneten Workshops, Debatten und Abstimmungen sollen nicht zuletzt
von den organisatorischen Übungen der Occupy-Bewegung profitieren.“ Siehe
Jordan Mejias: Die Unregierbaren gehören an die Regierung. FAZ 24.02.2012
(siehe auch unten die Gruppe ‚Woina’ und Anm. 27.)
Durch die neue Situation mit Occupy-Bewegung,
Stuttgart 21 oder Tahrir-Platz sehe Okwui Enwezor „neue Möglichkeiten der
Parallelführung von künstlerischer und politischer Praxis“, berichtet die SZ am
14.01.2012. Und der Kunstkritiker
Beaucamp meint, „die einst verdächtige, provozierende, avantgardistische Kunst,
ursprünglich Spitze der modernen Bewegung, hat ihre Autonomie und Reinheit
behauptet, sie verschmähte konsequent die unreinen, inhaltlichen, historischen
und politischen Beimischungen.“ Diese
„Wirklichkeit eigenen ästhetischen Rechts“ sei ein „Pyrrhussieg“ und “westliche
Staatskunst“ geworden. “Von dieser Westkunst erwartet man schon lange keine
Einwände und Gegenentwürfe, keine kritischen Kommentare zu den weltbewegenden
Ereignissen.... Erst im postmodernen Medienmix, ...werden neue Querverbindungen
und Dialoge gesucht.“ Eduard Beaucamp: Avantgarde macht Staat. FAZ 03.02.2012
-->
13Siehe auch zur Kritik der Entwicklung den Vortrag von
Till Gathmann: Hot shit. Bildende Kunst heute. Konferenz ‚Die Kunst der
Freiheit. Autonomie und Engagement nach Sartre und Adorno’ vom 30.9. –
02.10.2011 in Wien
-->
14Siehe Dan Diner: Versiegelte Zeit. Über den
Stillstand in der islamischen Welt. Berlin 2005. S. 17/ 18
-->
15Artur Zmijewski im Gespräch mit Joanna Warsza. In:
das magazin der kulturstiftung des bundes No.18 Herbst/ Winter 2011 S. 37
-->
163Sat- Kulturzeit 23.11.2011 Autor: Tom Fugmann/
Moderatorin: Cecile Schortmann.
http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/158663/index.html Zugriff 28.02.2012
-->
17swka: Aus Respekt. FAZ 01.11.2011
-->
18„Es ist schon erstaunlich: Ich versuche mit der
traumatischen Vergangenheit umzugehen, mit den Konsequenzen des deutschen
Kolonialismus (!), und werde dafür in Deutschland zensiert.“ Zmijewski im
Interview mit Catrin Lorch: Keine Kunst, bitte! SZ 12.01.2012. Er kritisiert
außerdem, „wir Deutschen hätten keine Identität, würden belastet durch unsere
Vergangenheit“ und „die Menschen in Deutschland hätten keine Freiheit mehr zu
reagieren ...“ Swantje Karich: Der Provokateur hat es nicht schwer. FAZ
19.01.2012
-->
19Zmijewski im Gespräch mit Warsza. siehe oben S. 37
-->
20wie Anm.1 S.325
-->
21Günter Jacob wies darauf hin, dass mit der
Behauptung, „die Heuchelei des Gedenkens bloßzustellen“ und um „Nazi-Symbole
lächerlich zu machen“,„seit den 80er Jahren verschiedene Musiker und Maler die
Verwendung von Hakenkreuzen, Hitler-Reden und Leni Riefenstahl-Zitaten“
rechtfertigten. „Dieses ‚provokante Spiel’
mit den Metaphern und Symbolen des Nationalsozialismus steht –allen
Kunst- und Symboltheorien zum Trotz – nach dem Holocaust prinzipiell unter
Affirmationsverdacht.“ Nicht wenige, die sich auf den Kunstvorbehalt berufen,
„sind schon bald zu der Ankündigung übergegangen, dass sie sich in ihre
Kunstfreiheit von Juden und ihnen hörigen dogmatischen Antifaschisten nicht
weiter hinein reden lassen wollen.“ Wie Anm.4 S.166
-->
22Gerhard Mack: Posieren mit Handicap. Artur Zmijewski Documenta 12. www.art-magazin.de 26/07/2007 Zugriff: 16.09.2011
-->
23Berlin.de Das offizielle Hauptstadtportal am
15.09.2011 siehe auch das Manifest der JRMiP in : www.steirischerherbst.at/2011/deutsch/presse/presse_download/ZweiteWelt2spreads_web.pdf
-->
24Website Berlin Biennale - JRMiP Congress 21.07.2011
-->
25aus: Enzyklopädie des Holocaust. Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß. München 1997. S.645
Raul Hilberg nennt für das Jahr 1939 3 350 000
jüdische Einwohner Polens, für das Jahr 1945 50 000. Er weist auf etwa 300 000
Flüchtlinge, Deportierte und Überlebende in der UdSSR des Jahres 1945 hin,
unter ihnen wohl auch polnische Juden, die nach Polen vorläufig zurückkehrten.
Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Band 3. Frankfurt a. M.
1990. S. 1116
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26„Juden, wir vermissen Euch", steht auf einem Poster über der trauernden Menge. Ein Politiker hält sehr überzeugend eine Trauerrede nach dem fiktiven Attentat auf den Anführer der fiktiven "Jüdischen Renaissance-Bewegung" und bittet 3,3 Millionen polnische Juden, aus dem Holocaust zurückzukommen, um Polen zu erretten vor der Langeweile der Homogenität und der Stagnation.“ Diese Lesart wird anscheinend möglich, hier bei Sabine Oppolzer: Brisanter polnischer Pavillon in Venedig. ORF- Kulturjournal 21.06.2011
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27Schritte in dieser Richtung unternahm 1998 Staatspräsident Kwasniewski und 2008 die Regierung Kaczynski (selbst wiederum zum Teil verbündet mit antisemitischen Gruppierungen), eingeschränkt für die Verfolgten der Kampagne 1968 gegen die angebliche „zionistische Verschwörung“, die, teilweise unter den Losung ‚Zionisten nach Zion’, mehrere zehntausend Juden zwang, Polen zu verlassen. Bislang blieb es offensichtlich nur bei Ankündigungen. ul: Vertriebene Juden erhalten wieder polnische Pässe. FAZ 06.03.2008
-->
28Siehe z.B. Christoph Richter: „Heim nach Polen“. Deutschlandradio 28.05.2010 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/ausderjuedischenwelt/1191773/
Besonders krass Kolja Reichert: „Sie (Bartana) zielt auf die Überwindung hinfälliger Festschreibungen durch Rasse, Religion, Geschlecht und Nationalität, die über den ganzen Lauf der Geschichte zur Erfindung und Unterdrückung von Minderheiten führen. Und am Beispiel welcher Minderheit ließ sich diese Utopie für Europäer plausibler ausbuchstabieren als an der jüdischen.“ Kolja Reichert: Entartete Kunst lebt! Die Welt 06.01.2012
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29Ob sie an Hollywood gedacht habe? „Nein, es ging mir um Propaganda, wie bei Leni Riefenstahl." Sie (Bartana) lacht: „Aber so gut wie Riefenstahl bin ich nicht." In: Daniel Boese/ Jan Brykczynski: Propaganda für Polen. art Das Kunstmagazin Ausgabe 6/ 2011. www. art-magazin.de – 15/09/2011.
-->
30Wie Anm.26
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31Till Gathmann Vortrag Hot shit in Wien siehe Anm.13. Beuys sympathisierte u.a. mit Rudolf Steiner, Aktion Dritter Weg, Silvio Gesell. „Und immer wieder, nachdem man ‚tabula rasa’ gemacht hat, fängt man an derselben Stelle an und baut dasselbe alte Finanzsystem wieder auf, hauptsächlich weil bisher eben nie bedacht worden ist, dass die Funktion des Geldes selber ein ganz entscheidender Kulturfaktor ist, dass mit einer unwahren Geldwirtschaft niemals eine wahre Kultur entstehen kann“, sagt Michael Ende und Joseph Beuys erwidert: „Da sind wir an einem Punkt, da treten einem die nicht tief genug durchdachten Modelle von Silvio Gesell vor Augen, der natürlich durchaus recht hat, wenn er sagt: Geld ist ein unlauterer Konkurrent zur Ware. Steiner hat später auch noch einmal diesen Passus von Gesell in seinen nationalökonomischen Kurs aufgenommen. ... Es wurde sogar zugestanden, in kleineren Gemeinden so etwas zu praktizieren.“ Aus: Michael Ende und Joseph Beuys: Kunst und Politik – ein Gespräch. Wangen 1989 in: Silvio-Gesell.de Weitere Stimmen zu Silvio Gesell 01.03.2012 „Auf den Kern der Sache zurückgeführt, kann gesagt werden, daß zwei Strukturelemente der im 20. Jahrhundert zur Herrschaft gekommenen Gesellschaftsordnungen die eigentlichen Ursachen der ganzen Misere darstellen: DAS GELD UND DER STAAT, das heißt die Rollen, die dem Geld und dem Staat in diesen Systemen eingeräumt werden.“ Joseph Beuys: Aufruf zur Alternative. FR 23.12.1978 Nachdruck im Juni 1979 S.3
-->
32Alona Frankel, der Journalist Yaron London, der eine „eine zionistische Rede“ hält, in der er darauf „beharrt (!), dass Israel und seine Armee die einzige Garantie sind gegen einen weiteren Holocaust“ (Reichert in: Die Welt s.o.) und die Kuratorin Anda Rottenberg, die ein um den Hals geschlungenes Palästinensertuch präsentiert, und „für die versöhnende Kraft der Kultur und der Kunst steht.“ In: www.goethe.de/ins/pl/lp/kul/dup/bku/ber/bie/de8482905.htm Goethe-Institut Polen Nov. 2011 Text: Lidia Pankow. Zugriff: 07.03.2012
-->
33„Die Echtzeit des Kapitals besteht in der Tendenz, sich selber = Null zu setzen; sie ist die Aufhebung jeder Zeit, damit auch die Aufhebung jeden Gedächtnisses, jeder Geschichte und jedweder Erfahrung. Damit ist schon der gesellschaftliche Grund gesetzt, warum es unmöglich ist, aus irgendwelchen politisch angedrehten Gedenkübungen an die Ermordung der Juden je ein kritisches Bewusstsein der Geschichte zu gewinnen, weil die Zeit des Kapitals dessen Vorrausetzung, das Gedächtnis, zerstört.“
Joachim Bruhn: Echtzeit des Kapitals, Gewalt des Souveräns. Über die Zukunft der Krise. In: Bahamas Nr. 63 Winter 2011/12 S. 71
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34Zmijewski im Gespräch mit Warsza S.36 siehe Anm.15
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35ebd. S.37
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36Kerstin Holm: Wahre Kunst bedeutet Krieg. FAZ 19.01.2012 Dort zu der Gruppe: „In der modernen Welt im Naturzustand der Jäger und Sammler zu leben gehört zum künstlerischen Ethos der Petersburger Aktionsgruppe mit dem zivilisationskritischen Namen „Woina“ (Krieg).“ „Ich schätze die Gruppe, sie haben die Stadt St. Petersburg in ein Schlachtfeld umdefiniert“, sagt Zmijewski SZ Lorch 12.01.12 siehe Anm.18
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37„Noch das äußerste Bewußtsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten. Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft (1949). In: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I. S. 30 Frankfurt a. M. 1977
-->
38„In aller gebotenen Kürze will ich mich hier einem Aspekt notwendig falscher historischer Kausalisierung widmen: der in die überhistorische Metapher der Shoa gefaßten Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis und ihrer Bebilderung durch vorgelagerte Geschichtserfahrung – vornehmlich Bilder herkömmlichen Antisemitismus bzw. der Nationalitätenfrage in Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit 1919-1939.“ Dass die Herleitung „notwendig falsch“ sein müsse, erklärt Diner damit, dass die „Massenvernichtung der europäischen Juden (..) eine Statistik, aber kein Narrativ (hat). Soll der ständig erfolgende Verweis auf den besonderen Charakter der Massenvernichtung als bürokratisch und industriell mehr gewesen sein als eine rhetorische Figur für das gesteigerte Böse, so findet er seinen tieferen Sinn darin, daß die fabrikmäßig erfolgte millionenfache Stanzung von Lebensgeschichten in ein gleichförmiges tödliches Schicksal dem Ereignis im nachlebenden Bewusstsein jegliche Erzählstruktur nimmt.“ Diesen Zustand „zerstörter Erzählstruktur’ bestimmt Diner mit dem Begriff der „gestauten Zeit“. Diner: „Für die Konstruktion des nationalen Narrativs (Israels, W.F.) grundlegend ist die Verschränkung der sich abstrakt anmutenden Massenvernichtung mit Elementen geschichtsfähiger Bebilderung, die vornehmlich der polnisch-jüdischen Lebenswirklichkeit der Vorkriegszeit entnommen sind.“ (Hervorhebungen durch den Verf.)
Dan Diner: Gestaute Zeit. Massenvernichtung und jüdische Erzählstruktur. In: ders.: Kreisläufe. Nationalsozialismus und Gedächtnis. Berlin 1995 S.125 ff. (Der „Bewegung“ von Zmijewski/Bartana jedoch ein „notwendig“ falsches Bewußtsein zu Gute zu halten, verfehlt die Sache, die hier falsch läuft und die hier kritisiert wird. Sie handeln völlig ungezwungen und freiwillig, alles geschieht in ihrer Verantwortung.)
39siehe Alex Feuerherdt: Alles bewältigt, nichts begriffen. Konkret Heft 3/2012 S. 20 ff.
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