ich
betreue derzeit den blog 71gedichte.blogspot.com zur Ausstellung
71gedichte.boazkaizman.de des in Köln lebenden israelischen Künstlers Boaz
Kaizman. Von Teilnehmern des blogs bin ich auf die von Ihnen unterstützte
Aktion des "Key of return" hingewiesen worden, die Teil des Berlin Biennale
Programms 2012 ist. Abgesehen von der generellen Berechtigung einer Forderung
nach Rückkehr für alle wirklichen Flüchtlinge in dieser Welt bleibt bei dieser
Aktion ein merkwürdiger Beigeschmack. Die Installation des Schlüssels oberhalb
des Tors des Flüchtlingslagers Aida spielt mit Parallelen, die man durchaus
geschmacklos finden kann. Es fragt sich auch, warum der Schlüssel nicht nach
Israel, sondern nach Deutschland überführt werden muss. Die Antwort liegt im
Konzept der Biennale begründet. Die kokettiert in großem Stil mit der
Rückgängigmachung der zionistischen Bewegung, beispielsweise in der von Yael
Bartana initiierten Bewegung zur "Wiederansiedlung von Juden in
Polen". Diese Koketterie geht in Richtung einer Konfrontation um jeden
Preis. In welche revanchistische Richtung die künstlerischen Beiträge gehen
können, hat der Kurator Artur Zmijewski selbst mehrfach unter Beweis gestellt:
In seinem Film 80064, in dem er einen Auschwitz-Überlebenden bedrängt, seine
KZ-Nummerntätowierung aufzufrischen http://www.justin.tv/korendian199/b/282107151,
oder in dem Video "Fangen", das Menschen beim Fangenspielen in den
Gaskammern zeigt. Zmijewski hält beide Aktionen für Wiederholungen von
Geschichte, die eine produktive Konfrontation ermöglichen. Die makabre Art der
Wiederholung gibt jedoch insbesondere die Opfer des Holocaust der
Lächerlichkeit preis und reiht sich in eine Tendenz ein, die in Osteuropa
derzeit vielfältig zu beobachten ist und die darauf abzielt, die durch die
Wende möglich gewordene Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus ein
weiteres Mal auf Kosten der Opfer zu verschieben.
Im
Rahmen meiner Tätigkeit als Blogbetreuer möchte ich Sie nun fragen, ob Ihnen
der oben skizzierte Zusammenhang der "Key of return"-Aktion bewusst
ist und wie Sie sich als Vertreter deutscher Kultur im Ausland dazu stellen.
Mit
freundlichen Grüßen
Marcus
Seibert
Sehr geehrter Herr Seibert,
vielen Dank für Ihre Mail. Anbei sende
ich Ihnen ausführlichere Informationen zu unserer Beteiligung am Projekt der 7.
Berlin Biennale und der Kunstakademie in Ramallah.
Die Beteiligung des Goethe-Instituts an
der 7. Berlin Biennale
Das Goethe-Institut unterstützt die 7.
Berlin Biennale und ihre Zusammenarbeit mit der Internationalen Kunstakademie
in Ramallah mit einer Projektbeteiligung in Höhe von 5.000 EUR. Die
Unterstützung umfasst im Einzelnen: einen Workshop in den palästinensischen
Gebieten mit der Kunstakademie in Ramallah zum Thema „Kunst und Politik im
Öffentlichen Raum“ und einen Workshop in Berlin in Zusammenarbeit mit dem
internationalen JugendKunst- und Kulturhaus „Schlesische27“. Darüber hinaus
fördert das Goethe-Institut bereits zum vierten Mal die Ausrichtung eines
Jungkuratorenworkshops. Weiterhin ermöglicht das Goethe-Institut die Teilnahme
von palästinensischen Kulturschaffenden an der 7. Berlin Biennale, indem es
Reisekosten übernimmt. Das Projekt „Key of Return“ ist Teil der Kooperation der
7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst mit der Internationalen
Kunstakademie in Ramallah: Bereits 2011 hatte die Akademie mit dem Projekt
„Picasso in Palestine“ politische Spannungsverhältnisse durch künstlerische
Auseinandersetzung reflektiert, als sie im Juni 2011 Picassos Gemälde „Buste de
Femme“ in ihren Räumen ausgestellt und den Weg des Bildes von Europa in den
Nahen Osten diskursiv begleitet und dokumentiert hat.
Die 7. Berlin Biennale setzt sich in
unterschiedlichen Bereichen mit dem komplexen Verhältnis von Kunst und Politik
auseinander und blickt von dort aus auf gegenwärtige gesellschaftliche und
politische Realitäten. Der „Key of Return“ steht symbolisch für zahlreiche
Flüchtlings- und Migrationsbewegungen im 20. und 21. Jahrhundert. Die Workshops,
die das Goethe-Institut in diesem Zusammenhang fördert, zielen darauf ab, diese
Prozesse zu reflektieren und das Projekt in den genannten größeren Kontext von
Kunst und Politik zu stellen. Sie berühren Kernthemen des Goethe-Instituts, das
sich seit langem mit Erinnerungskultur, Vorstellungen von Heimat und
Identitätskonstruktionen sowie der Rolle beschäftigt, die Kultur bei der
Bewältigung von Konflikten einzunehmen vermag. Eine künstlerische
Auseinandersetzung kann Impulse geben, Neues zu denken und auszusprechen. Der
Diskurs über künstlerische Ausdrucksformen kann Vorstellungen von Vergangenheit
und Gegenwart hinterfragen. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte
ist grundlegend für die Gestaltung einer konstruktiven gesellschaftlichen Entwicklung.
Dazu versuchen die Workshops, die das Goethe-Institut fördert, einen Beitrag zu
leisten.
In den genannten Workshops, die von der
7. Berlin Biennale in Zusammenarbeit mit „Schlesische27“ und der Kunstakademie
in Ramallah organisiert werden und in Berlin und den palästinensischen Gebieten
stattfinden, wird ein kleines Team von jungen Erwachsenen in Deutschland
lebende palästinensische Jugendliche interviewen und ihre Werte, Wünsche, Ziele
und Hoffnungen erfragen. Die Gespräche sollen die Jugendlichen dazu motivieren,
eigene Stärken anzuerkennen und die Selbstwahrnehmung als Opfer kritisch zu
hinterfragen. Die daraus entstehende kleine Bild-/Text- und Objektsammlung wird
anschließend in die palästinensischen Gebiete geschickt und dort dem zweiten Workshop
als Grundlage dienen. Im vergangenen Jahr hat das Goethe-Institut unter dem
Titel „Confessions“ bereits mit „Schlesische27“ ein von der EU gefördertes
Projekt mit jungen Libanesen, Palästinensern, Engländern und Deutschen zum
Thema Sexualität durchgeführt.
Der diesjährige Jungkuratorenworkshop
thematisiert insbesondere heutige Transformationsprozesse in den arabischen
Gesellschaften. Referenten beim Jungkuratorenworkshop werden unter anderem die
jordanische Kuratorin Touleen Touq (Makan Art Space), Khaled Hourani, Direktor
der Internationalen Kunstakademie in Ramallah, sowie Joshua Simon, Chief
Curator des Bat Yam Museums in Israel, sein.
Wenn Sie weitere Informationen
wünschen, sagen Sie bitte einfach Bescheid. Für Fragen zum Gesamtkonzept der 7.
Berlin Biennale stehen Ihnen Gabriele Horn und Denhart von Harling zur
Verfügung.
Freundliche Grüße aus Ramallah
Joerg Schumacher
Die palästinensische Politik bestreitet das Existenzrecht Israels als Staat der Juden, die 'Rückkehr' der ‚palästinensischen Flüchtlinge' wäre das Ende Israels als jüdischer Staat. Der Status der palästinensischen Flüchtlinge wird seit Jahrzehnten von arabischen Staaten wie Libanon, Jordanien, Syrien u.a. als Pfand politisch genutzt gegen Israel. Die Flucht (‚Vertreibung’) der Palästinenser wurde 1948 ff. zum Teil durch die Verteidigungskriege Israels ausgelöst, wie durch den Aufruf der Regierungen der arabischen Nachbarstaaten, Israel zu verlassen, mit dem Versprechen, die 'Rückkehr' militärisch mit der Vernichtung Israels zu ermöglichen. Es gibt im Westjordanland, das unter der Verwaltung der PA steht, m. E. keine 'Flüchtlingslager', es ist das von der PA beanspruchte künftige Staatsgebiet, die PA und andere Regierungen halten sich 'Flüchtlinge' als Druckmittel, statt die Milliarden, die aus EU, USA und sonstwo fließen, für ein besseres Leben der Menschen zu verwenden. Der ‚Schlüssel der Rückkehr’ symbolisiert den Wunsch nach dem Ende des jüdischen Staats. Insofern gehört der 'Key' vor allem nicht nach Israel. Gerade dort gehört er nicht hin. Es wäre ja genau das Anliegen der Querfront der Gegner Israels, das hier symbolisch ausgedrückt wird. Er gehört vielmehr in das Deutschland-Haus der ‚Vertriebenen’, deren Revanchismus und deren Streben nach Revision der Ordnung Europas, die durch die Befreiung vom NS entstand, als auch deren völkische Politik, die Täter zu Opfern macht, ihre Wahlverwandschaften in Palästina hätte oder hat. Die generelle Berechtigung der Forderung der Rückkehr aller Flüchtlinge ist meines Erachtens in dieser Allgemeinheit nicht richtig. (Die sogenannten Bootsflüchtlinge im Mittelmeer zum Beispiel wollen ein besseres Leben, ihre ‚Rückkehr in die Heimat’ wird gegen ihren Willen zwangsweise täglich durchgesetzt.) Zudem beanspruchen Steinbach und Co. ja diesen Status der 'Flucht' und wollen die Revision, konkret die Infragestellung z.B. der Verträge zur polnisch-deutschen Grenze (Steinbach hat alle Verträge diesbzgl. z.B. mit Polen immer abgelehnt oder sie in Frage gestellt), d.h. sie wollen Ansprüche Deutschlands nach Land und Besitz gegen die östlichen Nachbarstaaten durchsetzen. Der spezifische Revisionismus in Ex- RGW- Staaten, der die Besatzungszeit durch den NS, bzw. der Kollaboration von Teilen der Bevölkerung mit ihm, "entsorgen" will, indem man sich selbst vor allem als Opfer des Stalinismus, der Russen etc. definiert und das zum Angelpunkt "nationaler Identität" formiert, ist ein Aspekt, der bei Zmijewski sicher eine wichtige Rolle spielt. Die entscheidenden Impulse für diese ‚Wende der Geschichte’ bzw. Geschichtspolitik kamen aber vor allem von der stärksten Macht in Europa, nämlich Deutschland, der Mauerfall hat alles angeleitet, und Gauck konnte deswegen Präsident werden, sowie er auch gerade in Polen verstanden und begrüßt wird. Dass die Goethe-Institute als Kultur-Kader der deutschen Außenpolitik und getreu der Deutschen Ideologie, die sich schon immer auf wesenhafte ‚Kultur’ berief, die zu wahren sei gegen die Zivilisationen des Westens und deren Begriffe bürgerlicher Herrschaft, bei den ‚Bewegungen’ mitmachen wollen, ist seit der ‚Deutschen Akademie’ bekannt. Nur dass man heutzutage dafür von Diskurs und Identitätskonstruktionen schwadroniert und palästinensische Jugendliche ihre eigene Stärke in ‚Jungkuratoren-Workshops’ anerkennen sollen, ist neues Vokabular. Wer sich derart sicher ist in seinem „Kontext von Kunst und Politik“ wie der Direktor aus Ramallah, fühlt sich auch ermächtigt, die Fragen nach Verhöhnung der Opfer der Shoah, des Anti-Zionismus und der Gleichsetzung Israels mit dem NS, wie sie der Brief völlig zu Recht an ihn stellte, zu ignorieren und sich aktiv gleichgültig zu zeigen.
AntwortenLöschenWerner Fleischer, 30.3.12